Autor*innen-Porträts

Karl Otten

29. Juli 1889 – 20. März 1963

Karl Otten

Autor und Ort

Karl Otten kam am 29. Juli 1889 im westlich von Mönchengladbach gelegenen Oberkrüchten zur Welt. Kurz darauf zog die Familie nach Köln, wo Otten bis 1905 aufwuchs. Es folgten weitere Umzüge nach Dortmund, Bochum und schließlich Aachen. Dort machte er 1910 das Abitur am Aachener Kaiser-Wilhelm-Gymnasium, dem heutigen Einhard-Gymnasium, wo unter anderen Walter Hasenclever und Ludwig Strauß zu seinen Mitschülern zählten. 1913 ging er zum Studieren nach Bonn.

Leben und Werk

Karl Otten wurde 1889 in Oberkrüchten als Sohn eines Zollbeamten geboren. Er besuchte in Aachen ab 1907 das Kaiser-Wilhelm-Gymnasium, wo er 1910 das Abitur machte. Im selben Jahr beteiligte er sich am Aachener Almanach, den der Mitschüler Philipp Keller herausgab. Zum Studium der Volkswirtschaft ging Otten 1910 nach München, wechselte aber bald zur Kunstgeschichte. Er kam dort in den anarchistischen Kreis um Erich Mühsam, freundete sich mit Frank Wedekind und Heinrich Mann an. Aus seinen Reisen durch Südosteuropa ging 1912 der Bericht Reise durch Albanien hervor. Otten setzte das Studium 1913 in Bonn und 1914 in Straßburg fort.

Bei Kriegsausbruch wurde Otten verhaftet und schrieb im Gefängnis in Tübingen expressionistische Lyrik, die die bedeutende Zeitschrift Die Aktion abdruckte. Nach seiner Entlassung 1916 war er in der Postüberwachungsstelle Trier dienstverpflichtet. 1917 veröffentlichte die Aktion ein Otten-Sonderheft und den Gedichtband Thronerhebung des Herzens. Otten wurde für diese Texte erneut inhaftiert. Mit der Novemberrevolution verknüpfte Otten wie viele (expressionistische) Künstlerinnen und Künstler die Hoffnung auf eine gesellschaftliche Umgestaltung. Er entwickelte eine rege publizistische Tätigkeit und gründete die Zeitschrift Der Gegner.

Von 1919 bis 1922 lebte Otten in Wien, wo er Joseph Roth und Robert Musil kennenlernte und Vorlesungen bei Sigmund Freud hörte, was seinem Roman Lona (1920), der die Beziehung zwischen einem Professor und einer Klosterschülerin behandelt, anzumerken ist. Nach der Trennung von seiner Frau ging Otten 1923 nach Berlin und gehörte bis zum Ende der Weimarer Republik zur sozialistischen Fraktion des Literaturbetriebs. Er schrieb Romane und Theaterstücke, arbeitete für zahlreiche Zeitschriften. Bald nach dem Reichstagsbrand ging Otten ins Exil, lebte bis 1936 auf Mallorca, ab dann in London, wo er seine journalistische Arbeit fortsetzte und Mitarbeiter der BBC wurde. Eine soziologische Analyse des Nationalsozialismus erschien 1942 in englischer Übersetzung, auf Deutsch erst 1989 unter dem Titel Geplante Illusionen. Dank der Unterstützung seiner zweiten Frau Ellen konnte Otten auch nach seiner Erblindung 1944 produktiv bleiben. In der Nachkriegszeit erwarb er sich große Verdienste durch seine umfangreiche Herausgebertätigkeit, die auch den Beitrag jüdischer Autorinnen und Autoren zum Expressionismus würdigte (Das leere Haus. Prosa jüdischer Dichter, 1959; Schofar. Lieder und Legenden jüdischer Dichter, 1962). Otten starb am 20. März 1963 in Minusio bei Locarno, wo er seit 1958 lebte.

Von Jürgen Egyptien

„Infelix Colonia Agrippina“. Oden an meine Vaterstadt Köln (1974)

VI.

Sacht gleitet die Nacht über deine Wüsten,
Das Unbewusste unser aller Träume, gefüllt und trächtig mit Trauer.

Sachte gleitet die Nacht um die händelosen,
Aufgereckten Arme des Domes,
Die schwarzen Arme, die dir noch geblieben,
Dich zu trösten, wehklagend über den zerrissenen Leib,
Sachte und stumm schwebt der nächtliche Himmel
Mit kalten Sternen
An deinem Grabe vorüber.
Das Haus vergraben in Disteln und Schutt
Liegst du verlassen.
Wer gedenket dein noch, Stadt meiner Jugend?
Hast du deiner selbst gedacht,
Als brausend aus tausend Schläuchen
Der Wein sprang und des Blutes trunken
Du hinsankst im Rausch neben den Berauschten,
Umarmend das Verfluchte, das nun,
Da du hier liegst in deiner Schande,
Sich deiner nicht erbarmt?
O könnt ich deine Tränen trocknen,
Mit meinen Tränen deine Füße waschen,
Dich aufrichten und zeigen,
Erklären die Zeichen am Wege, am Wege zu Kalvary.
Wir beide nun in Nacht getaucht
Sind gleich geschlagen, gleich verbraucht,
Dies Ende ist der Anfang einer dunklen Zeit,
Schäme dich nicht. Lass schreien, was schreit.

(zitiert nach: Karl Otten Lesebuch. Zusammengestellt und mit einem Nachwort versehen von Enno Stahl, Nyland-Stiftung, Köln 2007, S. 89.)