Autor*innen-Porträts

Walter Hasenclever

8. Juli 1890 in Aachen – 21. Juni 1940

Walter Hasenclever

Autor und Ort

Walter Hasenclever wurde 1890 in einer Villa in unmittelbarer Nachbarschaft der Spinnerei Startz in Aachen geboren. An dem ehemaligen Fabrikgebäude am Löhergraben 22, das heute das Kulturzentrum Barockfabrik mit dem Literaturbüro der Euregio Maas-Rhein beherbergt, ist eine Gedenktafel für den expressionistischen Schriftsteller angebracht. Hasenclever machte 1908 Abitur am Kaiser-Wilhelm-Gymnasium, dem Vorgänger des Städischen Einhard-Gymnasiums, und veröffentlichte 1910 seine ersten Texte im Aachener Almanach, den sein früherer Mitschüler Philipp Keller herausgab und in dem sich zudem Beiträge von Karl Otten und, unter dem Pseudonym Franz Quentin, Ludwig Strauß befanden. 1996 wurde in Aachen die Walter-Hasenclever-Gesellschaft gegründet, die sich der Bewahrung von und Beschäftigung mit Hasenclevers Werk verschrieben hat. Seitdem wird von ihr alle zwei Jahre der mit 20.000 Euro dotierte Walter-Hasenclever-Literaturpreis verliehen.

Leben und Werk

Walter Georg Alfred Hasenclever wurde am 8. Juli 1890 als Sohn des Arztes Carl Hasenclever in Aachen geboren. Er wuchs in einem großbürgerlichen Milieu auf, das von dem generationstypischen Konflikt zwischen dem wilhelminischen Vater und dem rebellischen Sohn geprägt war. Hasenclever besuchte das Kaiser-Wilhelm-Gymnasium und machte im Frühjahr 1908 dort Abitur. Zwar ging er dem Wunsch des Vaters entsprechend nach Oxford, studierte aber nicht Jura, sondern begann Dramen zu schreiben, die den Einfluss von Ibsen und Nietzsche zeigen. Zu seiner Disziplinierung schickte ihn der Vater nach Lausanne, damit er dort unter der Aufsicht eines befreundeten Arztes sein Jura-Studium aufnahm.

Hasenclever floh eines Nachts und reiste nach Leipzig, um dort Literaturgeschichte und Philosophie zu belegen. Rasch fand er Zugang zum Leipziger Expressionistenkreis, dem unter anderem Kurt Pinthus und Franz Werfel angehörten. Er verfasste Gedichte, die 1910 in dem Band Städte, Nächte und Menschen erschienen. Sein Studium wollte er 1912 mit einer Dissertation über die naturalistische Zeitschrift Die Gesellschaft abschließen, aber sie wurde von seinem Doktorvater wegen ihres „unakademischen“ Stils abgelehnt und erst 2009 veröffentlicht. Mit dem 1914 im Kurt-Wolff-Verlag gedruckten Drama Der Sohn schuf Hasenclever einen der kanonischen Texte des Expressionismus, der wegen der exemplarischen Darstellung des Vater-Sohn-Konflikts bis heute gelesen und gespielt wird. Hasenclever begrüßte zwar wie die meisten Künstlerinnen und Künstler den Krieg als Sprengung des versteinerten Wilhelminismus, drängte aber auf dessen geistige Überwindung, für die er die Dichter in seinem Drama Der Retter (1915) in die Pflicht nimmt. Im selben Jahr wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, 1916 aus gesundheitlichen Gründen wieder entlassen. Von seiner aktivistischen Position distanzierte sich Hasenclever bereits 1919 in seinem Drama Die Entscheidung.

In der Weimarer Republik zählte Hasenclever mit Stücken wie Ein besserer Herr und Ehen werden im Himmel geschlossen zu den erfolgreichsten Theaterautoren. Außerdem arbeitete er von 1924 bis 1928 als Journalist für deutsche Medien in Paris. Wegen seiner gesellschaftskritischen Satiren ging Hasenclever 1933 ins Exil und lebte abwechselnd in England, Italien und Frankreich. 1938 wurde er von den Nationalsozialisten ausgebürgert, nach Kriegsausbruch als „feindlicher Ausländer“ in Südfrankreich interniert. Diese Erfahrung schildert er in seinem letzten Werk, dem Roman Die Rechtlosen. Am 22. Juni 1940 beging er aus Angst vor einer drohenden Auslieferung an die deutschen Besatzer im Lager Les Milles Suizid.

Von Jürgen Egyptien

Der Sohn (Auszug aus dem fünften Akt, 1914)

DER VATER: Du bist gestern abend, trotz des Verbotes, aus deinem Zimmer heimlich entflohn. – Wo warst du die Nacht?
DER SOHN: Du hast die Polizei gerufen. Du hast mich gefesselt hierherbringen lassen.
DER VATER: Ich wünsche eine Antwort auf meine Frage: wo warst du die Nacht?
DER SOHN: Du hast unter dem Deckmantel der Erziehung, ein Verbrechen an mir begangen. Dafür wirst du Vergeltung finden.
DER VATER: (springt auf, beherrscht sich aber): Ich warne dich!
DER SOHN: Ich bin nicht hier, um in Tönen des gestrigen Tages dich um etwas zu flehn, für das ich zu klein und zu niedrig dich erkannte. Ich bin hier, Rechenschaft von dir zu fordern – und Sühne: Auge um Auge. Du wirst kein überflüssiges Wort von mir hören. Heute werde ich die nüchterne Rolle spielen, in der du gestern verunglückt bist. Laß alle Gefühlchen beiseite. Willst du mich auf meinen Geisteszustand untersuchen – es steht dir frei. Ich phantasiere nicht. Soll ich mich auf diesen Tisch legen .. ? (Er wendet sich zum Untersuchungstisch)
DER VATER: (zieht hinter dem Schreibtisch eine Hundepeitsche hervor und beugt sie, wie um sie zu prüfen, übers Knie): Sprich weiter!
DER SOHN: (fährt auf die Geste mit der Peitsche schnell in seine Tasche und läßt die Hand dort): Als Auskultator minderer Individuen hast du vielleicht deine Verdienste. Doch hüte dich, die Peitsche zu berühren! (Er hebt, vom Vater unbemerkt, den Revolver halb aus der Tasche.) Ich besitze mein eigenes Attest. Ich bin durchaus gesund und weiß, was ich tue.
DER VATER: (unwillkürlich eingeschüchtert, läßt momentan die Peitsche sinken, gleichzeitig verschwindet der Revolver in der Tasche des Sohnes): Man hat dich – in einem verrufenen Hotel – heute morgen gefunden. Was hast du darauf zu sagen?
DER SOHN: Es ist die Wahrheit. Ich befand mich dort.
DER VATER: (erstaunt): Du leugnest also nicht?
DER SOHN: Keineswegs. Weshalb soll ich leugnen?
DER VATER: (nimmt einen Bogen Papier und notiert, wie bei einem Verhör): Was tatest du dort?
DER SOHN: Ich habe mit einer Frau geschlafen.
DER VATER: (richtet sich starr auf): Du hast … Genug. – Aus meinem Zimmer!
DER SOHN: (ohne sich zu rühren): Unser Gespräch ist noch nicht zu Ende. Setz dich wieder. Ich sagte dir schon: es handelt sich um dich.

(zitiert nacht: Walter Hasenclever: Der Sohn. Ein Drama in fünf Akten. In: Walter Hasenclever: Gedichte. Dramen. Prosa. Hrsg. von Kurt Pinthus, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1963, S. 152)