Leben und Werk
Ludwig Strauß wurde am 28. Oktober 1892 in Aachen als Sohn eines akkulturierten jüdischen Kaufmanns geboren. Er besuchte das Realgymnasium und begann schon als Schüler, Gedichte zu publizieren. Unter dem Pseudonym Franz Quentin war er mit sieben Gedichten an dem von Philipp Keller 1910 herausgegebenen Aachener Almanach beteiligt. Nach dem Abitur 1913 studierte er Literaturwissenschaft und Philosophie in Berlin und München. Von 1915 bis 1917 leistete er Kriegsdienst und erlitt durch eine Verschüttung an der Westfront eine Traumatisierung, deren Spätfolgen ihn 1919 das Studium unterbrechen ließen. Er lebte dann als freier Schriftsteller in Berlin und veröffentlichte literaturkritische und kulturzionistische Aufsätze. Strauß übersetzte aus dem Jiddischen, für das er sich unter dem Einfluss von Martin Buber stark engagierte. 1926 heiratete er dessen Tochter Eva.
In der Spielzeit 1925/1926 war er Dramaturg am Düsseldorf Schauspielhaus. Danach wandte sich Strauß wieder literaturwissenschaftlichen Studien zu und promovierte 1929 in Frankfurt am Main mit einer Arbeit über Hölderlin. Nach der Veröffentlichung einer anderen Schrift über Hölderlin erhielt er noch im selben Jahr an der RWTH Aachen eine Privatdozentur. Bis zum Beginn des Dritten Reiches bot Strauß Lehrveranstaltungen im Rahmen eines Studium generale an.
1935 wanderte er nach Palästina aus, das ihm seit einer Reise 1924 bekannt war. Noch im Jahr seiner Emigration veröffentlichte er in Berlin im jüdischen Schocken-Verlag seinen Gedichtband Land Israel. Er lebte in einem Kibbuz und arbeitete als Waldpflanzer und im Straßenbau. Von 1939 bis 1949 war er Lehrer im Jugenddorf Ben Shemen. 1949 zog er aus gesundheitlichen Gründen nach Jerusalem um. Er war zunächst an einem Lehrerseminar tätig, dann erhielt er eine Dozentur für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Hebräischen Universität. 1951 veröffentlichte er auch einen Gedichtband auf Hebräisch. Strauß starb am 11. August 1953 in Jerusalem.
Von Jürgen Egyptien
Das verpasste Verbrechen (Auszug aus Erzählung, undatiert)
So sehr auch Müller sich bemühte, über seinen Zustand im Unklaren zu bleiben, er konnte sich schließlich die Wahrheit nicht mehr gut verhehlen. Und die war, dass er mit dem Plane umging, den Wucherer Berthold Reich zu berauben und, wenn nötig, zu ermorden. Er war erstaunt, dass sich dies so einfach denken ließ und gar nicht mehr so ungeheuerlich schien wie im Gewöhnlichen das Wort Raubmord. Nun, es war freilich auch etwas ganz anderes. Anton Müller betrachtete sich und seine Vergangenheit und kam zu dem Schluss, dass er kein Verbrecher sein könne. Er hatte mühsam gearbeitet und knapp verdient und davon sich und die Mutter er nährt.
(zitiert nach: Ludwig Strauß: Das verpasste Verbrechen. In: Ahnung und Aufbruch. Expressionistische Prosa. Hg. von Karl Otten. Darmstadt u. Neuwied 1977, S. 241.)
Schlaflose Stunde (undatiert)
Im Eingang meines Zeltes steht
Der Kegel, der aus dunklem Land
Zu dunklem Himmel sich erbaut.
Im Eingang meines Zeltes steht
Die Nacht.
Aus dunklem Traume aufgetaucht
Ich lieg und rühre keine Hand.
Ich warte, und kein Lüftchen haucht,
Und wartend steht und ohne Laut
Die Nacht.
Ein Hauch erschwebt, ein Hauch verweht.
Zum Schweigen sind wir aufgewacht.
Verhaltner Atem nah und fern.
Im Eingang meines Zeltes steht
Ein Stern.
(aus: Ludwig Strauß: Schlaflose Stunde. In: Schofar. Lieder und Legenden jüdischer Dichter. Hg. von Karl Otten. Neuwied u. Berlin 1962, S. 322.)