Autor*innen-Porträts

Ingeborg Drews

26. Juli 1938 – 21. August 2019

Ingeborg Drews
© Marita Palm

Autorin und Ort

Ingeborg Drews kam am 26. Juli 1938 im Kölner Stadtteil Raderberg zur Welt, wo die Eltern eine Metzgerei betrieben. Sie besuchte zunächst die Volksschule Annastraße in Raderberg, später das Erzbischöfliche Irmgardis-Lyzeum im Stadtteil Bayenthal, das sie mit der Mittleren Reife verließ, und machte anschließend eine Lehre in einem Werbebüro, dem Zentralwerbedienst Köln. Sie verließ ihre Geburtsstadt, um in Paris zu studieren und lebte zeitweise in London und später in Norddeutschland, unter anderem in Flensburg und Kiel. Trotzdem – oder gerade deshalb – blieb sie stets Kölnerin: „hier geboren, hier verärgert, hier französiert und erfreut“, sagte sie. 1969 kehrte sie in ihre Heimstadt zurück, wo sie mit ihrer Tochter zunächst in einer Dachgeschosswohnung ohne eigenes Bad und Toilette in der Bonner Straße 260 lebte. Mitte der 1970er Jahre zog sie in eine moderne Wohnung in der Annastraße, wo sie als Kind zur Schule gegangen war. 1992 ging es schließlich in die Kölner Südstadt, wo sie eine Wohnung in der Titusstraße, nahe dem Eierplätzchen, bezog. In ihrer Kölner Zeit pflegte sie Freundschaften zu hiesigen Künstlern und Schriftstellern, darunter Albrecht Fabri und Dieter Wellershoff. Sie ist zusammen mit ihren Eltern auf dem Südfriedhof in Köln beerdigt. 

Leben und Werk

Wenn man ein Motto über das Leben von Ingeborg Drews stellen kann, dann vielleicht dieses: „Tout est possible“ („Alles ist möglich.“). Dies war auch der Titel der Gedenkausstellung, die 2020 in der Kölner Galerie Koppelmann zu ihren Ehren organisiert wurde. In Ingeborg Drews‘ Leben war und wurde vieles möglich: Sie war bildende Künstlerin, Grafikerin, Illustratorin, Karikaturistin, Fotografin, Übersetzerin, Fremdsprachenkorrespondentin, Journalistin und nicht zuletzt Schriftstellerin. Zuweilen war sie sogar manches gleichzeitig, wenn sie z.B. Texte auf Bilder oder Fotos schrieb, ihre eigenen Gedichtbände illustrierte oder Lyrik und Jazz verband.

Geboren wurde Ingeborg Drews 1938 als Ingeborg Weiser im Kölner Stadtteil Raderberg. Sie war gerade dem Säuglingsalter entwachsen, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, und gehörte somit zu den Kindern, deren Spielplatz aus Trümmern der Stadt bestand. Diese Kindheit hat die Autorin später in Mein Paris trägt grüne Schuhe eindrucksvoll beschrieben. 

Der Mittleren Reife schloss Drews eine Lehre in einem Werbebüro an. Als sie dort aus Langeweile anfing, eigene Bilder zu malen, wurde sie von den Kollegen in ihrer künstlerischen Neigung bestärkt, im Gegensatz zu ihren Eltern, die einen „brauchbaren Brotberuf“ für sie vorsahen. In dieser Zeit entdeckte sie auch das Eiscafé des Pierluigi „Gigi“ Campi an der Hohen Straße als „erste Insel der Freiheit“ – und blieb stets fasziniert vom Charisma dieses Impresarios des Jazz in Köln.

Nach ersten Kursen an den Kölner Werkschulen wagte Drews mit 21 Jahren den „Ausbruch“ aus der kleinbürgerlichen Enge und ging nach Paris, wo sie in die École des Beaux-Arts aufgenommen wurde und Malerei und Grafik studierte. Bereits 1961 wurden erste Gedichte von ihr veröffentlicht, ihr erster eigenständiger Lyrikband sollte jedoch erst 28 Jahre später erscheinen. Von da an wurden regelmäßig Texte von ihr publiziert. 

Um ihre Existenz zu sichern, nahm Drews über die Jahre verschiedene „Brotberufe“ an, sie arbeitete in einer Papierfabrik, als Rezeptionistin und Übersetzerin in Köln und London sowie beim Deutschlandfunk, später als Fremdsprachenkorrespondentin bei der Deutschen Welle und der Handwerkskammer. 1963 heiratete sie und lebte einige Jahre in Norddeutschland, 1966 kam ihre Tochter Inga zur Welt. Mitte der 1970er-Jahre, inzwischen geschieden, kehrte sie nach Köln zurück – und blieb. Sie studierte Freie Grafik an der Fachhochschule für Kunst und Design und ab 1991 Psychologie und Kunsttherapie an der Universität zu Köln. Ihrem Diplom (mit einer Arbeit über Friedrich Nietzsche) 1995 ließ sie zehn Jahre später den Doktortitel folgen mit einer Dissertation über die Ästhetik des Kitsches.

Ingeborg Drews Werk besteht aus Satiren, Erzählungen und zahlreichen Gedichten, die vertont und in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Als 1989 ihr erster Gedichtband Am Rande der Stunden im Pendragon Verlag erschien, sah Jürgen Becker darin „die Gedichte einer Malerin“, bei deren visuellen Erfahrungen und Empfindungen etwas offengeblieben sei, das sich einen Weg in die Sprache suche. Eine Sprache, die von der Verdichtung lebt und dank origineller Zusammensetzungen, Wortspielen und -schöpfungen – wie etwa „albumschön“ – sowie fremdsprachigen Elementen immer wieder neue Tonlagen anklingen lässt: von kindlich-begeistert über sachlich-nüchtern bis zu traurig-wehmütig und anklagend-sarkastisch. 1990 erhielt Drews, die von Albrecht Fabri und anderen Künstlerfreunden „Scribapinga“, die „schreibende Malerin“ genannt wurde, den Dormagener Federkiel. 

Drews ließ sich kaum in eine Schublade stecken. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit fertigte sie, die vielfach Begabte, Tuschezeichnungen, Holz- und Linolschnitte, Radierungen, Lithografien, Karikaturen und Gemälden an (dazu erscheint in diesem Jahr ein Kunstbuch im Wienand Verlag). Sie tourte mit Musikern wie Ali Haurand und Gerd Dudek, mit denen sie auch eine CD mit Jazz und Lyrik aufnahm. Außerdem schrieb sie als Journalistin zahlreiche Artikel und Porträts über verschiedene Jazzmusikerinnen und -musiker, die sie auf ihren verschiedenen Stationen kennenlernte. 

1999 folgte der Lyrikband Die gewöhnliche Sternstunde (im Düsseldorfer Grupello Verlag). Nur selten schrieb Ingeborg Drews in Kölscher Sprache, der sie sich dennoch verbunden fühlte. So schätzte sie es, sich mit „echten Kölnern“ – wie dem Lehrer und Kartäuser-Forscher Werner Beutler – über kaum noch gebräuchliche Ausdrücke oder Redensarten auszutauschen. Der väterliche Freund half ihr zudem bei der Fertigstellung von „Verboten. Verbannt. Verbrannt“ (2008 im Selbstverlag erschienen; mit einem Vorwort von Dieter Wellershoff, der wie Drews in der Südstadt wohnte). Den Anstoß gab eine Ausstellung, die erstmals 1983, zum 50. Jahrestag der Bücherverbrennung, in der Kölner Zentralbibliothek zu sehen war. In den folgenden 25 Jahren erstellte Drews in Bild und Wort Porträts von 40 in der Nazi-Zeit verfemten deutschen Autorinnen und Autoren: „Ich bin zu jenen zurückgekehrt, die man gewaltsam aus meiner Vergangenheit und meinem Land vertrieben hat. [...] Ich vermisse nach wie vor [ihre] Art und Qualität des Schreibens [...] – und ich vermisse ihre Lebensart in Deutschland“. Sie zeichnete außerdem künstlerische Karikaturen, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde.

Beutlers Vermittlung war auch die Veröffentlichung ihrer mit Anfang 70 verfassten autobiografischen Erzählung Mein Paris trägt grüne Schuhe zu verdanken (Roland Reischl Verlag 2012). Vordergründig eine Liebeserklärung an die Metropole, zu der sich Drews ein Leben lang hingezogen fühlte, handelt es sich gleichsam um eine tiefgründige Rückschau auf Kindheit und Nachkriegszeit in Köln und Deutschland, wo „die Kultur von den Nazis ausgelöscht wurde“. 2015 erschien Johanns Limousinen, ihre Erinnerungen an den Vater, der als Soldat an der Ostfront und anschließend in russischer Gefangenschaft gewesen war (ebenfalls im Roland Reischl Verlag).

Ingeborg Drews starb am 21. August 2019. 2022 erschien posthum das von Helmut Braun herausgegebene Kaleidoskop im Verlag Ralf Liebe. „Ingeborg Drews blättert ihr Leben auf“, schrieb Braun dazu, und neben der Liebe finde sich auch der Tod in ihren Texten. Sie griff zudem literarische und musikalische Vorlagen auf (wie Heines Wintermärchen oder das Wolgalied) und erinnerte an ihr nahe stehende Menschen. 

Von Roland Reischl

Gruß an Heinrich Heine

Längst in der Welt das Wissen
um die Dichter
Sie haben nichts zu freu'n
und nichts zu fressen
und dass man sie dereinst
belegt mit Straßennamen
sie unterbringt in Instituten
Sie ahnen's früh
und können es vergessen

Posthumer Ruhm
scheint ungeraten
einem in der Matratzengruft
dem man den andern Wohnort
angeraten
Wieder nur Worte
und keine Braten

Herr Heine speist
woanders jetzt
als da wo man den Juden
Düsseldorfs hernach bei den
splendiden arrangierten
Festen preist
so lang sein freches
Maul verbleibt im Grab

Exil Paris oh Sohn der Stadt
bleib da wo man dich 
aufgehoben hat 
und schweigen hört

Längst haben andere
Herrn Heine wirklich 
aufgenommen
Die speisen den
Genesenen weit besser
als seine hier in 
Düsseldorf fest etablierten
Hiesigen

Es geht dort leise zu
Erlöst ist er von 
starken Stimmen
und bunt' Spektakel
das er schon lebzeit-
lang gehasst

Man würde ihn
er hat's gewusst
nicht unter Linden
weniger noch 
Palmen verscharren
Schon gar nicht
an den Seiten des
geliebten Stroms

Der hier Verfemte
roch die Pseudoehren
die den solid Erstarrten 
einst dekorieren werden

Beamte werden geh'n
in Rheinregionen
mit seinem Namen
stolz herum

Sie nennen nach dem 
schmerzensreich
Verstorbenen
gewichtige Symposien
Es zieren sie 
Verdienstbeweise
um den Poeten
den jüdischen
der arischen Region

Ganz so als sei
des Dichters be-
endete Daseinsfron
die farbenreich
couragierte Biografie
eines Citoyen de Paris
und ihr brüchiger Ruhm
nun der Düssel-
dorfer Bourgeoisie
strahlendes Eigentum.