Autor*innen-Porträts

Joachim Rochow

17. Juni 1938 – 24. Mai 1966

Autor und Ort

Joachim Rochow wurde am 17. Juni 1938 in Hannover geboren. 1950 siedelte seine Familie nach Krefeld über. In den Adressbüchern dieser Zeit ist die Adresse Westparkstraße 62 angegeben. Rochow besuchte das hiesige Moltke-Gymnasium, bis er 1956 als Unterprimaner wegen ständiger Streitigkeiten vom Schulbesuch ausgeschlossen wurde. In der Krefelder Lyrikerin Rita Reiners fand er ab 1958 eine Fördererin seiner literarischen Anfänge. Im November 1961 stellte er sich in der Reihe „Junge Krefelder Autoren“ des Bildungswerks mit einer ersten Lesung aus seinem Lyrik-Debütband vor. Seinen Lebensunterhalt verdiente er mehrere Jahre lang als Aufsicht im Lesesaal der Stadtbücherei. Über Krefeld schrieb er 1963 unter anderem: „Krefeld ist gewiß keine Stadt, die zu üppigen Träumen herausfordert, aber sie stellt ihnen nichts entgegen.“ Nach einer erfolgreichen „Sonderbegabtenprüfung“ zog Rochow im April 1966 dann aber doch nach Köln, um ein Bibliothekarsstudium aufzunehmen. Dort kam er nur wenige Wochen später bei einem Verkehrsunfall ums Leben. 

Leben und Werk

Joachim Rochow war kein „Frühvollendeter“, keiner, den man leichthin in den berühmten „Klub 27“ aufnehmen könnte. Aber er war ein hochbegabter junger Lyriker, der auf bestem Wege war, sich einen Namen in der Literaturwelt zu machen, bis er am 24. Mai 1966 von einem Auto auf einem Zebrastreifen in Köln angefahren und abrupt aus dem Leben gerissen wurde.

Er war ganz offenkundig ein Einzelgänger, jemand, der immer wieder cholerisch ausbrach und an unterschiedlichsten körperlichen und seelischen Gebrechen litt, deren Ursachen jedoch damals nicht recht diagnostizierbar waren und hinter dem Begriff „vegetative Dystonie“ verborgen wurden. „Krankheit war eine wesentliche Komponente meines Lebens“, schrieb er an Hilde Domin, und angesichts seiner Vita ist das sicherlich keine Übertreibung.

„Während meiner ‚dunkelsten Jahre‘ begann ich zu schreiben“, berichtete er im selben Brief. 1958 nahm er Kontakt zu der über 20 Jahre älteren Krefelder Lyrikerin Rita Reiners auf und bat sie um Bewertung seiner Gedichte und Unterstützung beim Schreiben. Daraus erwuchs eine tiefe Freundschaft.

Ende der 1950er Jahre veröffentlichte Rochow seine ersten Gedichte Anthologien des Verlages Der Karlsruher Bote, der Ende 1961 auch seinen ersten Gedichtband Den Tod laß uns lynchen veröffentlichte. In einem Artikel über dessen Krefelder Lesung im November 1961 verwies der Kritiker der Rheinischen Post zwar auf Rochows „makabre Seelenlandschaft und einen Wust von Frühreife“, endete jedoch mit einem bestimmten „Ecce poeta! Trotz allem!“ und erinnerte sich in einem späteren Beitrag sowohl an „Momente, die nur einem Dichter beschieden sein konnten“ als auch an Verse, die „man als obszön empfand und fast nicht wahrhaben wollte“.

Und so spielte Rochow in dieser Zeit mit den Tabus triebkräftiger Sexualität und der Religion, er flutete seine Zeilen mit surrealistischen, expressionistischen und manchmal auch dadaistischen Bildern und verwendete Wörter, die das Bildungsbürgertum der Wirtschaftswunder damals im Gedicht nicht sehen mochte. Ein wenig erinnerte er in all dem und auch seinem Zorn an den zwei Jahre jüngeren Rolf Dieter Brinkmann, der wie Rochow in den 1960er Jahren nach Köln gezogen war und kaum zehn Jahre später in London ebenfalls bei einem Autounfall ums Leben kam.

Die Gedichte der folgenden drei Jahre unterschiedich sich erheblich von diesem Frühwerk und führten in eine ihn weit von Brinkmann entferte Richtung. So hielt Rochow im Januar 1963 unter dem Titel „Kunst und Klamauk“ in Krefeld einen Vortrag über die zeitgenössische deutsche Literatur, der ihm zur Philippika geriet, unter anderem gegen die Konkrete Poesie, gegen Franz Mon und Helmut Heißenbüttel und – als Sonderfall lyrischen „Klamauks“ – gegen die Lyrik von Günter Grass. Dem stellte er das Werk Paul Celans und Ingeborg Bachmanns entgegen, die „jene Distanz [haben], die nötig ist, um das Persönliche ins Überpersönliche, das Zeitliche ins Überzeitliche zu heben“.

Diese Position justierte seinen Kompass auch für sein eigenes Werk. Nach deren Lesung im November 1962 in Krefeld sprach er die bekannte Lyrikerin Hilde Domin an und führte mit ihr daraufhin einen mehrjährigen Briefwechsel. Zudem versuchte er sich die Welt zu erschließen, trampte 1963 zunächst nach Österreich, um sich 1964 von dort zu einer langen Reise per Anhalter aufzumachen, die ihn nach Jugoslawien, Griechenland, in die Türkei, den Libanon und nach Syrien führte. Mehrfach erkrankte er, lag in Damaskus eine Woche im Krankenhaus und musste seine Reise schließlich abbrechen, insgesamt aber sowieso schon desillusioniert: „Orangengärten, Palmen, Wasser, Berge, was nützt das? Dieselben Melancholien, dieselben Probleme.“

1965 wurde für ihn ein Jahr des Aufbruchs. Er bestand die „Sonderbegabtenprüfung“, die ihm eine berufliche Perspektive eröffneet. Außerdem nahm ihn Hilde Domin als jüngsten und unbekanntesten Autoren in ihren Band Doppelinterpretationen auf, in dem ansonsten nur die Crème de la Crème der deutschen Lyrikszene versammelt war.

Die Veröffentlichung des Buches im August 1966 erlebte Rochow indes nicht mehr. In Krefeld nahm man großen Anteil an seinem Tod. Rita Reiners widmete ihm zwei Gedichte, die Autorin Annemarie in der Au veranstaltete im Oktober eine Gedenkfeier, auf der seine Gedichte vorgetragen wurden. Und schließlich hatten auch die gemeinsamen Bemühungen der Eltern, Hilde Domins und der damaligen VHS-Leiterin Irene Rixen-Steilmann um eine Publikation seiner Manuskripte Erfolg. Im Herbst 1968 erschien unter dem Titel Der leise Krieg im Atelier Verlag Andernach eine von Domin besorgte und redigierte Zusammenstellung.

Treffender als Reiners in ihrem Gedicht kann man dieses bedauernswerte Ende eines vielversprechenden Lyrikers wohl kaum fassen: „Von soviel Glut / eine Hand voll Asche. / In soviel Frühe / ein Hauch von Spät.“

Von Thomas Hoeps

Die weißen Ebenen des Buchs

Die weißen Ebenen des Buchs
man wirft den Dichter
auf eine unwirtliche Seite

Man bestreut ihn
mit schwarzen Krumen
von Buchstaben:

Ein Fragezeichen schmückt
sein Grab

(aus: Joachim Rochow: Der leise Krieg. Atelier Verlag, Andernach 1968, S. 6.)


Abends

Der Abend
kommt nieder
mit welken Wundern

Du siehst
schlummernd
an Orten
feierlichen Zerfalls
das Schöne
abblättern
von der Schönheit

Und hörst keinen 
wo Schweigen wuchert
jäten
mit scharfer Stimme

(aus: Joachim Rochow: Der leise Krieg. Atelier Verlag, Andernach 1968, S. 30.)