Autor*innen-Porträts

Rolf Dieter Brinkmann

16. April 1940 – 23. April 1975

Rolf Dieter Brinkmann
© Henry Maitek

Autor und Ort

Rolf Dieter Brinkmann lebte ab 1962 mit Frau und Sohn in der Engelbertstraße 65 am Rudolfplatz. Mit Köln verband ihn eine Hassliebe. „Köln ist die verschissenste Stadt, die ich kenne, zu Tode verwaltet, ohne Leben, die Menschen erstarrt, ohne Farben, Vorgärten, die wie Friedhöfe aussehen“, schrieb er. In einer Tonbandaufnahme von 1973 nannte er die Stadt eine „stinkende Kloake von einer Million Menschen“. Trotzdem verbrachte er bis zu seinem frühen Tod 1975 13 Jahre seines Lebens hier. An seinem früheren Wohnhaus ist ein Foto der alten Fassade angebracht, auf der die folgenden Zeilen gemalt waren: „In diesem Haus schrieb, liebte und hasste Rolf Dieter Brinkmann /: Aber das Leben erschlaffte“. Die Stadt Köln vergibt seit 1985 jährlich das nach ihm benannte Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium für Autor*innen bis 35, dem Alter, in dem Brinkmann starb.

Leben und Werk

Rolf Dieter Brinkmann zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikern der Nachkriegszeit, als radikaler Erneuerer hatte er großen Einfluss auf nachfolgende Generationen von Dichterinnen und Dichtern. Geboren wurde er am 16. April 1940 im oldenburgischen Vechta. Sein Vater Josef war Verwaltungsangestellter beim Finanzamt. Seine Mutter verstarb 1957 an Krebs. Die Erschütterung durch diesen tragischen Verlust ist immer wieder in seinen Texten spürbar.

Brinkmann besuchte das Gymnasium in Vechta, brach jedoch nach der 10. Klasse ab und blieb ohne Abschluss. Die anschließende Ausbildung beim Finanzamt war nur von kurzer Dauer und bestärkte den umtriebigen Außenseiter darin, die ungeliebte Heimat zu verlassen. Er zog nach Essen und absolvierte dort eine Lehre als Buchhändler, für den Vielleser Brinkmann ein Paradies. In der Ruhrgebietsstadt lernte er auch seine zukünftige Frau Maleen Kramer kennen, mit der er 1962 nach Köln zog. 1964 heiratete das Paar, noch im selben Jahr kam Sohn Robert zur Welt. Nach einem kurzen Intermezzo als Student der Pädagogik konzentrierte sich Brinkmann fortan auf seine schriftstellerische Arbeit.

Brinkmanns Stil veränderte sich rasant, vor allem in der Auseinandersetzung mit der US-Avantgarde: William Burroughs, Frank O’Hara, William Carlos Williams. Durch sie inspiriert richtete sich sein Blick auf den Moment, seine Lyrik und Prosa beschreiben Details des Alltags, sind spontan und sprunghaft, was zu dieser Zeit eine Provokation war. Brinkmann wurde damit in den 1960er Jahren zum führenden Underground-Lyriker Deutschlands. Auch machte er den amerikanischen Underground hierzulande bekannt. Wegweisend war die 1969 zusammen mit dem Essener Freund Ralf-Rainer Rygulla herausgebrachte Anthologie „Acid“, eine Dokumentation über die amerikanische Subkultur der Beatniks und Hippies in Text und Bild.

Nach 1970 zog sich der immer wieder als provozierender Rebell auftretende Brinkmann – sein Verleger Reinhold Neven Du Mont, damals Chef von Kiepenheuer & Witsch, nannte ihn einst einen „Berserker“ – aus dem Literaturbetrieb zurück. Er litt unter Depressionen und distanzierte sich zunehmend von Familie und Freunden. In dieser Zeit veröffentlichte er vor allem Hörspiele.

Ab 1972 war er für ein Jahr Ehrengast der Villa Massimo in Rom. Dort entstanden Notizen und Vorstufen zu einem Roman, der posthum unter dem Titel Rom, Blicke erschien. 1974 unterrichtete er als Gastdozent an der University of Texas in Austin.

Rolf Dieter Brinkmann starb am 23. April 1975 nach einer Lesung in London, als er beim Überqueren einer Straße von einem Auto erfasst wurde. Vermutlich hatte er nicht auf den Linksverkehr geachtet. Kurz nach seinem Tod erschien sein vielleicht wichtigstes Werk Westwärts 1 & 2. Ein Gedicht darin lautet: „Jetzt bin ich aus den Träumen raus, die über eine / Kreuzung wehn. [...] was krieg ich jetzt, / einen Tag älter, tiefer und tot? / Wer hat gesagt, dass so was Leben / ist? Ich gehe in ein / anderes Blau.“

Von Dominik Kruhl

Einer jener klassischen … (1975)

… schwarzen Tangos in Köln, Ende des 
Monats August, da der Sommer schon

ganz verstaubt ist, kurz nach Laden
Schluß aus der offenen Tür einer

dunklen Wirtschaft, die einem
Griechen gehört, hören, ist beinahe

ein Wunder: für einen Moment eine
Überraschung, für einen Moment

Aufatmen, für einen Moment
eine Pause in dieser Straße

die niemand liebt und atemlos
macht, beim Hindurchgehen. Ich

schrieb das schnell auf, bevor
der Moment in der verfluchten

dunstigen Abgestorbenheit Kölns
wieder erlosch.

(zitiert nach: Rolf Dieter Brinkmann: Westwärts 1. Gedichte. Erweiterte Neuausgabe, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2005, S. 35.)