Leben und Werk
Rolf Dieter Brinkmann zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikern der Nachkriegszeit, als radikaler Erneuerer hatte er großen Einfluss auf nachfolgende Generationen von Dichterinnen und Dichtern. Geboren wurde er am 16. April 1940 im oldenburgischen Vechta. Sein Vater Josef war Verwaltungsangestellter beim Finanzamt. Seine Mutter verstarb 1957 an Krebs. Die Erschütterung durch diesen tragischen Verlust ist immer wieder in seinen Texten spürbar.
Brinkmann besuchte das Gymnasium in Vechta, brach jedoch nach der 10. Klasse ab und blieb ohne Abschluss. Die anschließende Ausbildung beim Finanzamt war nur von kurzer Dauer und bestärkte den umtriebigen Außenseiter darin, die ungeliebte Heimat zu verlassen. Er zog nach Essen und absolvierte dort eine Lehre als Buchhändler, für den Vielleser Brinkmann ein Paradies. In der Ruhrgebietsstadt lernte er auch seine zukünftige Frau Maleen Kramer kennen, mit der er 1962 nach Köln zog. 1964 heiratete das Paar, noch im selben Jahr kam Sohn Robert zur Welt. Nach einem kurzen Intermezzo als Student der Pädagogik konzentrierte sich Brinkmann fortan auf seine schriftstellerische Arbeit.
Brinkmanns Stil veränderte sich rasant, vor allem in der Auseinandersetzung mit der US-Avantgarde: William Burroughs, Frank O’Hara, William Carlos Williams. Durch sie inspiriert richtete sich sein Blick auf den Moment, seine Lyrik und Prosa beschreiben Details des Alltags, sind spontan und sprunghaft, was zu dieser Zeit eine Provokation war. Brinkmann wurde damit in den 1960er Jahren zum führenden Underground-Lyriker Deutschlands. Auch machte er den amerikanischen Underground hierzulande bekannt. Wegweisend war die 1969 zusammen mit dem Essener Freund Ralf-Rainer Rygulla herausgebrachte Anthologie „Acid“, eine Dokumentation über die amerikanische Subkultur der Beatniks und Hippies in Text und Bild.
Nach 1970 zog sich der immer wieder als provozierender Rebell auftretende Brinkmann – sein Verleger Reinhold Neven Du Mont, damals Chef von Kiepenheuer & Witsch, nannte ihn einst einen „Berserker“ – aus dem Literaturbetrieb zurück. Er litt unter Depressionen und distanzierte sich zunehmend von Familie und Freunden. In dieser Zeit veröffentlichte er vor allem Hörspiele.
Ab 1972 war er für ein Jahr Ehrengast der Villa Massimo in Rom. Dort entstanden Notizen und Vorstufen zu einem Roman, der posthum unter dem Titel Rom, Blicke erschien. 1974 unterrichtete er als Gastdozent an der University of Texas in Austin.
Rolf Dieter Brinkmann starb am 23. April 1975 nach einer Lesung in London, als er beim Überqueren einer Straße von einem Auto erfasst wurde. Vermutlich hatte er nicht auf den Linksverkehr geachtet. Kurz nach seinem Tod erschien sein vielleicht wichtigstes Werk Westwärts 1 & 2. Ein Gedicht darin lautet: „Jetzt bin ich aus den Träumen raus, die über eine / Kreuzung wehn. [...] was krieg ich jetzt, / einen Tag älter, tiefer und tot? / Wer hat gesagt, dass so was Leben / ist? Ich gehe in ein / anderes Blau.“
Von Dominik Kruhl
Einer jener klassischen … (1975)
… schwarzen Tangos in Köln, Ende des
Monats August, da der Sommer schon
ganz verstaubt ist, kurz nach Laden
Schluß aus der offenen Tür einer
dunklen Wirtschaft, die einem
Griechen gehört, hören, ist beinahe
ein Wunder: für einen Moment eine
Überraschung, für einen Moment
Aufatmen, für einen Moment
eine Pause in dieser Straße
die niemand liebt und atemlos
macht, beim Hindurchgehen. Ich
schrieb das schnell auf, bevor
der Moment in der verfluchten
dunstigen Abgestorbenheit Kölns
wieder erlosch.
(zitiert nach: Rolf Dieter Brinkmann: Westwärts 1. Gedichte. Erweiterte Neuausgabe, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2005, S. 35.)