Autor*innen-Porträts

Hilde Domin

27. Juli 1909 – 22. Februar 2006

Hilde Domin
© picture alliance akg-images / Bruni Meya

Autorin und Ort

Die Dichterin Hilde Domin wurde am 27. Juli 1909 in Köln geboren. Ihr Geburtshaus stand in der Riehler Straße 23, woran heute eine Gedenktafel erinnert. Vor dem Haus sind zudem Stolpersteine für sie, ihre Eltern und ihren Bruder angebracht; sie alle flohen vor den Nationalsozialisten ins Ausland. In ihrer Autobiografie beschreibt Hilde Domin ihre gemeinsame Wohnung wie folgt: „Wir wohnten im 2. Stock, und mein Bruder und ich wurden ins Erdgeschoss oder ins Hochparterre getragen, wenn Fliegeralarm war, während des Ersten Weltkriegs […]. Das Speisezimmer hatte bunteingelegte Fenster, damit man den Hinterhof und die Brandmauer nicht sah, die man vom Schlafzimmer aus doch gut kannte, und war mit Schwarzer Eiche getäfelt.“ 2008 erhielt in Köln ein Rosengarten in der Nähe des Geburtshauses in Neustadt-Nord den Namen Hilde-Domin-Park. Im gleich Jahr wurde außerdem eine städtische Schule an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie nach ihr benannt. Hilde Domin erhielt zahlreiche Preise, darunter 1972 die Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft, 1988 den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen und 1999 den Staatspreis des Landes.

Leben und Werk

Die deutsch-jüdische Schriftstellerin Hilde Domin (geb. Hildegard Dina Löwenstein) kam in Köln zur Welt. Ihre Mutter Paula Löwenstein war ausgebildete Sängerin, der Vater Eugen Siegfried Löwenstein promovierter Rechtsanwalt. Nach dem Abitur am Merlo-Mevissen Lyzeum in Köln begann sie zunächst ein juristisches Studium in Heidelberg, wechselte aus gesundheitlichen Gründen jedoch nach Köln (in Bonn besuchte sie Vorlesungen als Zweithörerin), bis zu ihrer Genesung lebte sie wieder in ihrem Elternhaus. Bei einer Tanzstunde begegnete sie dem späteren Literaturkritiker und Schriftsteller Hans Mayer, mit dem sie sich anfreundete und der sie dazu bewegte, der SPD beizutreten.

Nach ihrer Rückkehr nach Heidelberg zum Sommersemester 1931 lernte sie den jüdischen Altphilologie- und Archäologiestudenten Erwin Walter Palm kennen, mit dem sie ein Jahr später für ein Auslandsstudium nach Italien ging. In Rom, das nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler 1933 zu ihrer ersten Exilstation wurde, entging die junge Studentin mehrfach nur knapp einer Verhaftung. 1936, inzwischen hatten beide das Studium in Florenz abgeschlossen, heiratete das Paar. In Italien konnten sie jedoch nicht bleiben, die Rassengesetze von 1938 machten die Juden zu Staatsfeinden und verlangten deren Ausreise bis zum 12. März 1939. Das Paar floh in letzter Minute und gelangte über Frankreich, England und Kanada im Sommer 1940 in die Dominikanische Republik. Hier arbeitete Domin als Lektorin an der Universität von Santo Domingo.

Durch eine zunehmende Entfremdung von ihrem Ehemann und den Tod ihrer Mutter flüchtete Domin sich ins Schreiben – laut eigener Aussage die „Alternative zum Selbstmord“. In ihren Gedichten Herbstzeitlosen undZiehende Landschaft setzte sie sich mit dieser für sie schwierigen Zeit, die sie in eine tiefe Sinnkrise stürzte, auseinander. Nach 22 Jahren im Exil kehrte Domin 1954 in die Heimat zurück, wobei sie die ersten sieben Jahr hin und her pendelte. In Anlehnung an das Land, in dem sie Zuflucht gefunden und ihr Leben als Dichterin begonnen hatte, gab sie sich den Künstlerinnennamen Domin, und begann, auf Deutsch zu schreiben.

1959 erschien ihr erster Lyrikband Nur eine Rose als Stütze. Um zu vermeiden, das Debüt einer über 50 Jahre alten Autorin zu veröffentlichen, gab der Verlag ihr Geburtsjahr mit 1912 an. Erst 40 Jahre später gab Domin die Schummelei zu. In ihrer langjährigen Schaffenszeit verfasste sie hauptsächlich Gedichte, die geprägt sind von ihren traumatischen Verfolgungs- und Exilerfahrungen und sich durch ihre freien Rhythmen auszeichnen. Sie schrieb jedoch auch autobiografische Erzählungen, einen Roman (Das zweite Paradies, erschienen 1968) sowie literaturtheoretische Essays; darüber hinaus war sie als Übersetzerin und Herausgeberin tätig.

Hilde Domin erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, darunter den Nelly-Sachs-Preis, das Bundesverdienstkreuz erster Klasse der Bundesrepublik Deutschland sowie dem höchsten Orden der Dominikanischen Republik. Sie war außerdem Ehrenbürgerin der Stadt Heidelberg.

Am 22. Februar 2006 verstarb Hilde Domin an den Folgen eines Oberschenkhalsbruchs. Sie wurde auf dem Heidelberger Bergfriedhof beigesetzt. Der von ihr selbst gewählte Grabspruch lautet: „Wir setzten den Fuß in die Luft / und sie trug“.

Von Dominik Kruhl

Rückzug (1999)

Meine Rechte (wer glaubt es ihr heut?)
war einstmals eine offene Rose
voller Schmetterlinge.
Plötzlich, fast ohne Vorbereitung,
wie einer gestoßen wird und fällt,
hat sie ihre Blätter verloren
und war blaß und nackt:
eine Menschenhand
wie alle andern.
Du erinnerst dich.
Die Schale meiner Linken,
die deine Vögel tränkte,
zerbrach.
Du weißt, wie lange die Scherben
in unserem Garten lagen.
Es ist wahr, ich konnte mich damals
in eine Wand von blühendem Wein verwandeln
für deine Bienen.
Die Jahreszeit war
kaum von Bedeutung –
vor diesem Tag,
an dem ich meine Hände
auf den Tisch legte,
und sie leer waren.
Seither bin ich bescheiden geworden,
ich gehe mit einem Netz auf den Markt,
wo gewogen und abgeschnitten wird,
und habe dir Tassen und Teller gekauft
wie eine richtige Hausfrau.
Aber wenn du weinst
und dich hilflos
im Schlafe beklagst,
dann wachsen meinem Herzen
kleine schmerzende Flügel,
und ich fühle seine Ungeduld
in meinem Hals,
daß mir der Atem vergeht.

(zitiert nach: Hilde Domin: Sämtliche Gedichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014.)