Autor*innen-Porträts

Julius Talbot Keller

21. Dezember 1890 – 16. Mai 1946

Autor und Ort

Julius Talbot Keller kam 1890 in Aachen zur Welt. In der Geburtsanzeige ist die Villa Eich als Geburtsort vermerkt, ein in der Eupener Straße gelegenes Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert (heutige Hausnummer 138). Keller besuchte das Kaiser-Wilhelm-Gymnasium (das heutige Einhard-Gymnasium), wo er zum Freundeskreis literaturbegeisterter Schüler um Karl Otten gehörte. Er verließ seine Heimatstadt nach dem Abitur, um Jura zu studieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er als Leutnant an der Westfront eingesetzt wurde, kehrte Keller nach Aachen zurück und arbeitete einige Jahre als Architekt. 1930 zog er sich auf den väterlichen Gutshof bei Jülich zurück, den er 1934 nach dessen Tod übernahm. Julius Talbot Keller starb 1946 in Aachen und wurde auf dem Westfriedhof begraben. 

Leben und Werk

Julius (Jules) Talbot Keller wurde am 21. Dezember 1890 in Aachen geboren. Er machte 1909 am damaligen Kaiser-Wilhelm-Gymnasium (dem heutigen Einhard-Gymnasium) Abitur und studierte danach Jura in Heidelberg und Berlin. Im Anschluss leistete er sein Dienstjahr ab und promovierte im Juli 1914 mit der Schrift Budgetrecht und Organisationsgewalt, die 1916 erschien. Während des Ersten Weltkriegs war Keller von 1914 bis 1917 als Leutnant der Infanterie an der Westfront. 

Ab 1916 publizierte er Gedichte, die in grellen Bildern seine Fronterfahrung schildern, in der expressionistischen Wochenschrift Die Aktion von Franz Pfemfert. 1918 erschien sein einziger Gedichtband Durchblutung 1918 in der von Pfemfert edierten Buchreihe Der Rote Hahn. Einerseits verschärft Keller darin seine Klage über „die Todes Mühlen“ des Krieges und seine „aus Fleisch gekneteten“ Schlachtfelder, andererseits beschwört er in expressionistischer „Oh Mensch“-Haltung die nahe Erlösung. Der Titel bezieht sich auf die Idee, den in jedem „keimenden neuen Menschen“ mittels Dichtung zu „durchbluten“. Die Gedichte beschwören eine reine Menschlichkeit jenseits von nationalem Denken.

Dementsprechend hatte sich Keller der 1915 gegründeten Antinationalen Sozialisten Partei angeschlossen. Nach Kriegsende unterzeichnete er zusammen mit Albert Ehrenstein, Karl Otten, Carl Zuckmayer u.a. deren Aufruf an das „vaterlandslose werktätige Volk“ in Frankreich, Italien, England und Amerika. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich Keller bereits im Schweizer Kanton Graubünden auf, wohin er 1917 nach seiner Entlassung aus dem Heer aus gesundheitlichen Gründen gegangen war. Dort verfasste er 1919 die Streitschrift Was sind Revolutionen? Darin definiert Keller die Revolution als geistig-moralische Wiedergeburt, deren gewalttätiger Charakter nicht moralischem Urteil unterliege.

In den 1920er Jahren kehrte Keller nach Aachen zurück und arbeitete als Architekt. 1930 zog er sich auf den väterlichen Gutshof bei Jülich zurück, den er 1934 übernahm. Er starb am 16. Mai 1946 in Aachen. 

Kurz zuvor stellte er die Gedichtsammlung Träume zwischen Tag und Tod zusammen, die mit dem Nachlass Phillip Kellers, seinem Freund aus Jugendzeiten, in die Germanistische Bibliothek in Aachen kam. Dieses Typoskript enthält 93 Gedichte, von denen fünf Übersetzungen von Paul Verlaine und Charles Baudelaire sind. Aus Durchblutung sind nur zwei Gedichte enthalten. Der Ton der Sammlung hat sich von der expressionistischen Sprachgeste entfernt und bewegt sich in der Tradition der klassisch-romantischen Dichtung. Thematisch dominieren Natureindrücke, Selbstfindung und Gottsuche.

Von Jürgen Egyptien

Sursum

II. Lichtung

Aus dem tollwutgeilen Traum gerissen
Wusch er seine Stirn im Himmelslichte,
Trieb auf Windes schwanken Seidenkissen
Ohne Gegenstand und Gliederdichte.

Ohne Farbe die gespannten Wiesen.
Ohne Duft die aufgerollten Täler.
Reiselüstern gegen Morgen bliesen
Seines Weges leichtgeschürzte Wähler.

Über jungem Schilf und frischen Flüssen
Taumelte sein aufgelöstes Leben
Unbegabt den luftigen Genüssen
Vogelflinken Flüchtigseins ergeben.

Über krausem Klee und Roggenwellen
Schläferte die schwere Mittagsstunde.
Wandermattigkeit trug ihn auf schnellen
Herbstkadenzen wie ein Blatt zu Grunde.

Landete erschüttert wie ein Nachen.
Hob die Lider auf zu erstem Schauen.
Lag in wundergläubigem Erwachen
Auf den Knien unsrer lieben Frauen.

(aus: Julius Talbot Keller: Durchblutung, Verlag der Wochenschrift „Die Aktion“, Berlin 1918, S. 18.)