Autor*innen-Porträts

Hans Bender

1. Juli 1919 – 28. Mai 2015

Hans Bender
© Jürgen Bauer / Süddeutsche Zeitung Photo

Autor und Ort

Hans Bender zog 1959 nach Köln. Von 1962 bis 1964 war er Redakteur und Leiter des Feuilletons der bei DuMont erscheinenden Zeitschrift magnum. Er lebte von 1969 bis zu seinem Tod 2015 in einer Wohnung in der Taubengasse, unweit des Zülpicher Platzes. 1986 verlieh ihm die Universität zu Köln die Ehrendoktorwürde, 1991 erhielt er den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen. Ausgewählte Werke von Hans Bender erscheinen seit 2002 im Aachener Rimbaud Verlag.

Leben und Werk

Hans Bender war ein wichtiger Vertreter der deutschen Nachkriegsliteratur, als solcher war er nicht nur Autor, sondern auch Netzwerker und Talentscout. Über den langen Zeitraum von 1953 bis 1980 gab er die bedeutende Literaturzeitschrift Akzente (erschienen im Carl Hanser Verlag) heraus, zu Beginn gemeinsam mit Walter Höllerer, später zeitweise allein. Er legte dabei großen Wert darauf, auf neue Talente aufmerksam zu machen und diese zu fördern. Daneben fungierte er als Herausgeber verschiedener Anthologien, in denen junge Autorinnen und Autoren, aber auch etablierte Namen ihre Texte veröffentlichen konnten. Ein umfangreicher Briefwechsel, unter anderem mit Rose Ausländer, Heinrich Böll, Elisabeth Borchers, Elias Canetti, Hilde Domin, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass und Siegfried Lenz, zeugt von seinen zahllosen Kontakten zu den Literaten seiner Zeit. Eine großer Teil davon wurde beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 zerstört. „Womöglich der größte literarische Verlust des Einsturzes“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Bei all seiner Unterstützung für andere darf nicht vergessen werden, dass Hans Bender selbst ein erfolgreicher Schriftsteller war. Vor allem seine Kurzgeschichten fanden großen Anklag, auch international, und wurden teilweise in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Das lag nicht zuletzt daran, dass er, wie viele Autoren seiner Generation, die Kriegserlebnisse zum Thema machte – und das auf eine ebenso kritische wie menschlich berührende Weise. In seiner bekanntesten Kurzgeschichte mit dem Titel Die Wölfe kommen zurück von 1954 machen sich ein russischer Ortsvorsteher und ein deutscher Kriegsgefangener gemeinsam auf den Weg, um die Kinder eines russischen Dorfes vor streunenden Wölfen zu schützen. Diese waren wegen des Kriegsgetöses aus der Gegend verschwunden, kehren nun aber, nach Ende der Kampfhandlungen, als erneute Bedrohung zurück. Mit dieser metapherhaften Geschichte stellte Bender das Klischee von Freund und Feind sowie die Stabilität von Frieden infrage.  

Den Krieg kannte Bender aus eigener Erfahrung. Er war 1919 im Badischen zur Welt gekommen und wurde als junger Mann 1940 zur Wehrmacht eingezogen. 1945 geriet er in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst viereinhalb Jahre später entlassen wurde. Danach nahm er in Heidelberg sein zuvor begonnenes Philologiestudium wieder auf. 1951 erschien sein erster Gedichtband Fremde soll vorüber sein.   

Die Lyrik Benders ist in ebenso nüchterner Sprache verfasst wie seine Erzählungen, auch dies ein Kennzeichen der jungen Nachkriegsliteratur. In seinen späten Jahren bevorzugte Bender gewitzte Vierzeiler, die wie eine Momentaufnahme einen Gedanken blitzartig fokussieren. 

Hans Bender wurde mit zahlreichen Preisen bedacht und erhielt zweimal das Bundesverdienstkreuz. Er war außerdem Mitglied in verschiedenen Akademien und im PEN-Club. 

Schon 1959 hatte Bender seinen Wohnsitz dauerhaft nach Köln verlegt. Dort starb er 2015. Sein Grab befindet sich in seiner Geburststadt im badischen Mühlhausen.  

Von Ernst Müller

Die Wölfe kommen zurück (Auszug, 1954)

Krasno Scheri hieß das Dorf seit der Revolution. Es lag fünfzig Werst von der nächsten Stadt in großen Wäldern, die eine Straße von Westen nach Osten durchschnitt.

Der Starost von Krasno Scheri holte sieben Gefangene aus dem Lager der Stadt. Er fuhr in seinem zweirädrigen Karren, ein schweißfleckiges Pferd an der Deichsel. Zwischen den Knien hielt er ein Gewehr mit langem Lauf und rostigem Korn. Im Kasten hinter dem Sitz lag der Proviantsack der Gefangenen voll Brot, Salz, Zwiebeln und Dörrfisch.

Die Gefangenen gingen rechts und links auf dem Streifen zwischen den Rädern und dem Rand der Felder. Als die Straße in den ersten Wald mündete, stieg der Starost ab. Er band die Zügel an die Rückenlehne und ging hinter den Gefangenen her.

Sie hielten sich an die Gangart des Pferdes. Alle Gefangenen gehen langsam. Sie senkten die Köpfe, nur einer trug ihn aufrecht, drehte ihn hierhin und dorthin, neugierig, verdächtig.

„Ich habe ein Gewehr“, dachte der Starost. „Sie haben kein Gewehr. Mein Gewehr ist zwar nicht –“

Der Gefangene blieb stehen. Er ließ drei, die hinter ihm kamen, vorübergehen, bis der Starost auf seiner Höhe war.

„Guten Tag“, sagte der Gefangene.

Seit dem ersten Krieg hatte der Starost keinen Deutschen mehr gesehen. Diese Deutschen waren andere Deutschen als damals. Er sah, der Gefangene war jung. Er hatte Augen in der Farbe hellblauen Wassers.

„Gibt es Wölfe im Wald?“, fragte der Gefangene.

„Wölfe?“ Der Starost überdachte die Frage. „Ja, es hat Wölfe gegeben. Jetzt gibt es bei uns keine Wölfe mehr. Ihr habt sie vertrieben mit eurem Krieg. Die Wölfe sind nach Sibirien ausgerissen. Früher knackte der Wald von Wölfen, und niemand hätte gewagt, im Winter allein diesen Weg zu gehen. Die letzten Wölfe sah ich im ersten Winter dieses Krieges, als die letzten Geschütze von Wyschni Wolotschek herüberdonnerten.“

„Fünf Monate ist der Krieg vorbei“, sagte der Gefangene. „Die Wölfe könnten längst zurück sein.“

„Sie sollen bleiben, wo sie sind“, sagte der Starost. „In Sibirien. Sibirien, da gehören sie hin.“

(zitiert nach: Hans Bender: Ausgewählte Werke. Bd. 4 – Der Hund von Torcello, Rimbaud Verlag, Aachen 2008.)