Autor*innen-Porträts

Günter Grass

16. Oktober 1927 – 13. April 2015

Günter Grass
© picture alliance / Roland Weihrauch

Autor und Ort

Günter Grass zog im März 1947 nach Düsseldorf, wo er unter anderem beim Steinmetz Julius Göbel in der Witzelstraße 142 ein Praktikum absolvierte. Von 1948 bis 1952 studierte er Bildhauerei und Grafik an der hiesigen Kunstakademie. Grass verdiente seinen Lebensunterhalt als Türsteher im Lokal „Zum Csikós“ an der Andreasstraße in der Altstadt, wo er auch regelmäßig Jazz spielte; in seiner Autobiografie heißt es, er sei dort sogar einmal mit Louis Armstrong aufgetreten. In den fast fünf Jahren, die Grass in Düsseldorf verbrachte, lebte er an veschiedenen Orten. Sein erstes Quartier war ein Heim der Caritas am Ratherbroich 155. Ab Sommer 1949 wohnte er in der Jülicher Straße 34, zuletzt an der Stockumer Kirchstraße 35. Vieles von dem, was Grass in Düsseldorf erlebte, floss in sein bedeutendstes Werk Die Blechtrommel ein. 1953 verließ Grass Düsseldorf Richtung Berlin, die „Abmeldung von Amts wegen“ erfolgte am 19. Oktober 1954.

Leben und Werk

Günter Grass wurde am 16. Oktober 1927 in Danzig geboren. Seine Kindheit verbrachte er in einfachen Verhältnissen, die Eltern führten einen Kolonialwarenladen in der heute wieder zu Polen gehörenden Stadt. Durch seine katholische Mutter geprägt, war Grass als Jugendlicher unter anderem als Messdiener tätig. Während des Zweiten Weltkriegs trat er der Hitlerjugend bei und war zunächst als Luftwaffenhelfer tätig, bis er 1944 – im Alter von 17 Jahren – der Waffen-SS beitrat. 1945 bis 1946 war er in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. 

Nach dem Krieg konnte Grass keinen Schulabschluss nachweisen. Um dennoch an der Düsseldorfer Kunstakademie studieren zu können, absolvierte er mehrere Praktika bei verschiedenen Steinmetzen in Düsseldorf. Von 1948 bis 1952 studierte er schließlich Bildhauerei und Grafik, seinen Lebensunterhalt verdiente er in dieser Zeit als Türsteher in der Düsseldorfer Altstadt. 

1953 setzte Grass das Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin fort und präsentierte seine Skulpturen in ersten Ausstellungen. Parallel dazu begann er eigene Gedichte und Prosa zu verfassen. Sein erster Lyrikband Die Vorzüge der Windhühner erschien 1956. 

Der literarische Durchbruch gelang Grass 1959 mit Die Blechtrommel, dem ersten Teil seiner „Danziger Trilogie“. Der Roman, der die Lebensgeschichte eines Jungen unter den Einflüssen des Nationalsozialismus beschreibt und mit fantastischen Elementen kombiniert, brachte Grass internationale Aufmerksamkeit. Die Blechtrommel wurde drei Millionen Mal verkauft und in 24 Sprachen übersetzt. Die Verfilmung durch Volker Schlöndorff von 1979 wurde als bester fremdsprachiger Film mit einem Oscar ausgezeichnet. Grass selbst erhielt für sein Werk den Preis der Gruppe 47, der er ab 1957 angehörte.

Über die folgenden Jahrzehnte veröffentlichte Grass zahlreiche weitere Romane, von denen einige inzwischen zum Kanon der deutschsprachigen Literatur zählen, etwa Katz und Maus (1961), Der Butt (1977) oder Das Treffen in Telgte (1979). Neben seiner schriftstellerischen Arbeit, die sich nicht auf Prosa und Lyrik beschränkte, sondern auch Dramen umfasste, machte sich Grass als Bildhauer, Maler und Grafiker einen Namen. 

Darüber hinaus war Grass politisch sehr engagiert – er unterstützte die SPD, war ein enger Vertrauter Willy Brandts und kämpfte für demokratische Anliegen. In seinen Romanen setzte er sich immer wieder kritisch mit der deutschen Geschichte und Identität auseinander. Sein literarisches Werk zeichnet aus durch die kunstvolle Verbindung von Realismus und Fantastik mit politischen, gesellschaftskritischen Themen und ist geprägt von einem kreativen, spielerischen Umgang mit Sprache, die sowohl kleinste Alltagsdetails erfasst, ohne dabei jedoch das große Ganze aus den Augen zu verlieren. 1999 erhielt Grass für sein Lebenswerk den Literaturnobelpreis. 

2006 offenbarte Grass in seiner Autobiografie Beim Häuten der Zwiebel seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS, was eine Debatte über seine Glaubwürdigkeit als moralische Instanz auslöste. Sein Beitrag zur deutschen Literatur, sein kritischer Blick auf die Geschichte und Gesellschaft bleiben jedoch unbestritten. Günter Grass verstarb am 13. April 2015 in Lübeck.

Von Leonie Bauerdick

Die Blechtrommel (Romanauszug, 1959)

Schon in der Straßenbahn, die mich zum Ratinger Tor, in die Nähe der Akademie bringen sollte, fiel mir auf, daß ich das Volk, alles, was da als Cowboy und Spanierin das Büro und den Ladentisch verdrängen wollte, nicht zum Lachen brachte, sondern erschreckte. Man nahm Abstand, und so kam ich trotz des vollbesetzten Straßenbahnwagens in den Genuß eines Sitzplatzes. Vor der Akademie schwangen Polizisten ihre waschechten und gar nicht kostümierten Gummiknüppel. Der „Musentümpel“ – so hieß das Fest der Kunstjünger – war überfüllt, die Menge versuchte dennoch das Gebäude zu erstürmen und setzte sich mit der Polizei teilweise blutig, auf jeden Fall farbig auseinander.

Als Oskar sein kleines Glöckchen, das ihm am linken Ärmel hing, sprechen ließ, teilte sich die Menge, ein Polizist, der von Berufs wegen meine Größe erkannte, salutierte von oben herab, fragte nach meinen Wünschen und geleitete mich, seinen Knüppel schwingend, in die festlichen Kellerräume – dort kochte das Fleisch, war aber noch nicht gar.

(zitiert nach: Günter Grass: Die Blechtrommel. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009, S. 614f.)