Textstellen

Vom Leben und Schweben

Marina Jenkner über die Wuppertaler Schwebebahn.

Quietschend windet sich das leere Gefährt durch die Wendeschleife in Vohwinkel, hält und nimmt mich auf in seinen bauchigen Körper. Ich setze mich nach hinten, dort, wo die neuen hellblauen Schwebebahnen durch ein großes Panoramafenster die Stadt präsentieren. Die alten Siebzigerjahre-Waggons hatten hier eine Ablage, auf der die Kinder sitzen und rausschauen konnten. Ein Ruck – und ich schwebe die Bogenallee aus grünmetallenen Stützen entlang.

Und so, wie die Schwebebahn den Verkehr unter sich links liegen lässt, so lasse auch ich meine Gedanken zurück – und schwebe einfach. Vorbei an den Fenstern der Großstadt, hinter denen sich Leben abspielt. Scheiben, die mich spiegeln. Das endlose Rattern der Räder auf den Schienen, mein Bauch vibriert.

Plötzlich bin ich über dem Sonnborner Kreuz, das einen Keil mitten in den Stadtteil schlug. Unter Autobahnasphalt schluchzen die Seelen der alten Häuser, doch die Stahlraupe schwebt furchtlos darüber hinweg.

Kurz darauf legt sie sich vor dem Stadion in die Kurve und fährt nun hoch über dem Wasser. Die Wupper. Kein Fluss zum Angeben, nicht herrschaftlich, nicht tief, nicht breit und ohne Promenade. Und früher der schwärzeste Fluss der Welt, für Else, die Tochter der Stadt. Heute fließt das Wasser zwischen den Industriebauten klar und Fischreiher waten durchs Flussbett, mitten im Zentrum, unerschrocken von der Stahlraupe, die ratternd und mit tausend Füßen Stadtmenschen über die Wupper hebt. Auch mich, die ich jetzt durch Elberfeld fahre, das einst so prächtig gewesen sein muss.

Neue Fahrgäste schieben sich in die Bahn, sie ist die schnellste entlang der Hauptverkehrsader der Stadt. Und windet sich durch das eng bebaute Tal mit den grünen Höhenzügen. An der Gerichtsinsel vorbei, wo man sprichwörtlich über die Wupper gehen kann, aber das werde ich nicht.

Und weiter nach Barmen, das zweite große Zentrum, und immer wieder die Hinterhöfe alter Fabriken, die erzählen von der Engels-Zeit, als die Wiege der Textilindustrie genau hier lag, Arbeiter unter prekären Bedingungen Stoffe webten und Friedrich Junior nicht dem Vorbild seines Vaters folgte. Sich nicht anpassen. Das wünsche ich dieser Stadt mit ihren Hinterhofjuwelen.

Wir gleiten über die große Kreuzung am Alten Markt, die Wupper verschwindet kurz unter Beton, etwas später gaukelt die einstige Jugendstilstation aus Fachwerk ihre Historie nur noch vor.

Unter uns auf der Wiese am Ufer sitzen Menschen in der Sonne, Kinder halten ihre Füße ins Wasser und blicken zu der ratternden Stahlraupe hinauf. Zu mir, die ich nun aussteigen muss nach dreizehn Kilometern und dreißig Minuten. Die Bahn pendelt, öffnet ihre Türen und bald habe ich wieder festen Boden unter mir.

Doch meine Füße wollen weiterschweben, tragen mich zum Rückfahrgleis auf der anderen Seite, wo ich die Stahlraupe dabei beobachte, wie sie sich durch die Wendeschleife windet.

Es kann sich immer alles wenden, denke ich, und manchmal muss man einfach über den Dingen schweben.

Vita

Marina Jenkner wurde 1980 in Detmold geboren und kam 1999 zum Studium nach Wuppertal. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber der Stadt begeisterten sie bald die Geschichten hinter den alten Fabrikantenvillen und sie entdeckte für ihre Filme Wuppertal als vielfältigen Drehort. Das weitere Bergische Land und dessen Natur erkundete sie im Laufe der Jahre auf Wanderungen. Heute lebt sie als Schriftstellerin im Wuppertaler Westen.