Leben und Werk
Am 11. Februar 1869 wurde in (Wuppertal-)Elberfeld Elisabeth Schüler geboren. Für Gottfried Benn war sie „die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte“. Karl Kraus nannte sie „die stärkste und unwegsamste Erscheinung des modernen Deutschland“. Sie hat ihr Werk gelebt, ein Gesamtkunstwerk hinterlassen, war als Performerin selbst Teil dieses Gesamtkunstwerks. Im Berlin der Jahrhundertwende schrieb Else Lasker-Schüler ihre ersten Gedichte, war in zweiter Ehe mit dem Schriftsteller und Avantgarde-Förderer Herwarth Walden verheiratet, zeitweise mit Benn liiert, mit Georg Trakl befreundet. Franz Marc malte ihr seinen berühmten „Turm der blauen Pferde". Sie war die Radikalste unter diesen Radikalen, stand im Zentrum des künstlerischen Aufbruchs, der in Literatur, Kunst und Musik völlig neue Wege beschritt.
Ihr Werk ist stark autobiografisch geprägt und vereinigt phantastische und religiöse Elemente mit einer ausgeprägten Naturliebe. Noch heute steht „Prinz Jussuf von Theben“ – eine ihrer Namensspielereien – für Grenzüberwindung von Kulturen, Religionen, Ethnien und Geschlechtern. Ihre drei Theaterstücke (Die Wupper, Arthur Aronymus und seine Väter, IchundIch), Romane und Essays sind immer noch Avantgarde und mehr als nur Expressionismus. Die Zeichnungen der Poetin der Zeichenfeder wurden 1937 als „entartet“ aus der Berliner Nationalgalerie beschlagnahmt. 1932 mit dem angesehenen Kleist-Preis ausgezeichnet, musste sie nur ein Jahr später vor den Nationalsozialisten in die Schweiz fliehen, von wo aus sie 1939 nach Palästina emigrierte. Dort starb sie 1945, ihr Grab liegt auf dem Ölberg in Jerusalem.
Als an einem Februarabend 1916 in Zürich das Cabaret Voltaire aus der Taufe gehoben wurde, gab es einen Urschrei, der bis heute nachhallt: „Dada, Dada, Dada!“. Tristan Tzara, Hans Arp, Hugo Ball, Emmy Hennings, Marcel Janco, Sophie Taeuber und Richard Huelsenbeck röhrten, girrten, schnalzten „Dada“. Sie tanzten, sangen und stampften „Dada”. Dabei wurden auch Texte von Else Lasker-Schüler vorgelesen, darunter das Gedicht Elbanaff, das im Titel an ihre Geburtsstadt erinnert.
Durch dieses „Elbanaff“ ziehen drei Gestalten am 27. Juli 1910: Else Lasker-Schüler mit dem damals ungewöhnlichen Kurzhaarschnitt, ein hagerer Mann mit Stirnglatze und langem Mantel wie in einem Italowestern von Sergio Leone (Herwarth Walden) und ein Künstlertyp mit spitzen gelben Schuhen (Oskar Kokoschka): Das Trio wirft den Sturm in Briefkästen, um für die bekannteste expressionistische Zeitschrift zu werben.
Else Lasker-Schüler klagt später: „Keiner hat mich wiedererkannt.“ Ihre Eindrücke vor Ort aber formuliert sie freundlich in ihrem berühmten Essay Elberfeld im dreihundertjährigen Jubiläumsschmuck.
Von Hajo Jahn, Vorsitzender der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft
Elberfeld im dreihundertjährigen Jubiläumsschmuck (Auszug, 1910)
„Lott es doot, Lott es doot, Liesken leegt om Sterwen, dat es god, dat es god, gäwt et wat tu erwen.“ – Ich bin verliebt in meine buntgeschmückte Jubiläumsstadt; das rosenblühende Willkomm gilt mir, denn ich bin ihr Kind, die flatternden Fahnen auf den Dächern, aus den Fenstern winken mir zu, lange Rotschwarzweißarme, die mich umfangen wollen. Ich bin in Elberfeld an der Wupper in der Stadt der Schieferdächer. Hohe Ziegelschornsteine steigen, rote Schlangen herrisch zur Höhe, ihr Hauch vergiftet die Luft. Den Atem mußten wir einhalten, kamen wir an den chemischen Fabriken vorbei, allerlei scharfe Arzeneien und Farbstoffe färben die Wasser, eine Sauce für den Teufel [...]
(zitiert nach: Ulrike Schrader [Hrsg.]: Verzauberte Heimat. Else Lasker-Schüler und Wuppertal. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2019.)
Elbanaff (1902)
Min salihihi wali kinahu
Rahi hatiman
fi is bahi lahu fassun –
Min hagas assama anadir,
Wakan liachad abtal,
Latina almu lijádina binassre.
Wa min tab ihi
Anahu jatelahu
Wanu bilahum.
Assama ja saruh
fi es supi bila uni
El fidda alba hire
Wa wisuri – elbanaff!
(zitiert nach: Else Lasker-Schüler: Gesammelte Werke in drei Bänden, Bd. 1: Gedichte. Suhrkamp, München 1996.)