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Bastei

André Patten beschreibt eine düstere Zukunftsvision Kölns, mittendrin ein kleines Restaurant.

I

Wie ein zu tief fliegendes Ufo hängt das ovale Restaurant über dem Fluss, so nah über dem Wasser, dass es fast darauf zu gleiten scheint. Die Sonne brennt wie jeden Tag erbarmungslos auf die Kölner Bucht. Olga und Lu binden das Boot an den Anleger, tragen die Boxen ins Lokal. In den Innenräumen ist es angenehm kühl.

Das Panel geht wieder, sagt Donny, als er Olga die Box mit dem Chinakohl abnimmt. Er nickt und bleibt einen Moment vor dem Bildschirm in der Küche stehen und liest 25 Grad. In den letzten Tagen, als das Solarpanel keinen Strom lieferte, stiegen die Temperaturen in den Innenräumen auf 32 Grad, fast so heiß wie draußen.

Warst du den ganzen Tag oben am Dach, das Ding reparieren?

Zwei Stunden. Geht schon.

Lu tritt zu Donny, umarmt ihn von der Seite.

Zwei Stunden in der Hitze, das könnte ich nicht, aber gerade rechtzeitig, sagt Olga, heute haben wir wieder zwei Reisegruppen.

Für den Notfall haben wir noch immer den Dieselgenerator, sagt Lu und räumt das Gemüse in den Küchenautomaten.

Olga verzieht ihr Gesicht. Du weißt, dass das verboten ist.

 

II

Lu wischt den Staub von den Trockenblumen vor den Fenstern. Hinter ihr ist die weite Wasserlandschaft zu sehen, aus der immer wieder bewachsene Ruinen herausragen.

Hat sich die Gruppe aus Bayern schon gemeldet?, fragt Olga.

Lu dreht sich zur Seite, schaut durch die Fenster auf die Domruine, dieser große Kirchenstumpf ohne Türme, und das Marriot Flugschiff, wie es langsam seine Kreise über der Ruine zieht. Sie fragt sich, wie wohl der Blick von dort oben ist. Dieses kleine Etwas inmitten von Wasser, Ruinen und wildwuchernden Algen, in dem sie ihr Restaurant betreiben, wäre es überhaupt zu sehen?

Hast du das noch nicht mitbekommen? Es gibt eine Sturmwarnung. Die Gruppe von Trips to the old world kann auch nicht kommen.

Schon wieder eine Sturmwarnung? Seit wann?

Das kam vor einer Stunde oder so. Ist bestimmt nichts Schlimmes, oder siehst du eine Wolke am Himmel?

Warum hast du nichts gesagt?

Ach, das wird schon nicht so schlimm werden, sagt Lu, aber Olga ist außer sich.

Nicht so schlimm? Weißt du nicht mehr, was der letzte Sturm angerichtet hat? Hennes, ruft sie, wie wird das Wetter heute in Köln?

Donny hat den digitalen Assistenten in der Bastei Hennes getauft. Die sonst auf jede Frage sofort antwortende Stimme reagiert nicht.

Hennes, ruft Olga wieder, Hennes, aber eine Reaktion bleibt aus.

Lu zuckt mit den Schultern. Olga rennt hinter die Bar, ihre Bewegungen sind hektisch. Die Metaverse-Station ist ausgeschaltet.

Seit dem Polsprung sind die Fluten nicht mehr so stark, sagt Lu, aber Olga reagiert nicht darauf, was sie sagt. Sie versucht, die Verbindung zum Metaverse wiederherzustellen, aber es gelingt nicht.

Wir sollten echt mal den Ausflug zum Marriot machen, sagt Lu und wischt den nächsten Tisch ab. Den halben Satoshi sollten wir doch zusammenkriegen.

Olga ist viel zu nervös, um auf Lus Gerede einzugehen, panisch nimmt sie ihre Smartwatch aus der Schublade und sieht die Warn-Meldungen. Die Evakuierung hat bereits begonnen.

Donny, Olga, warum habt ihr nichts gesagt?

 

III

Donny steht in der Küche und putzt den Küchenautomaten, obwohl dieser sich selbst reinigt. Olga steht wenige Schritte neben ihm und wartet darauf, dass er auf ihre Fragen antwortet. Sie sieht zu ihm rüber, den Rucksack in der Hand, aber Donny reagiert nicht, tut viel eher so, als ob er nicht gehört hat, wie sie laut und deutlich gefragt hat, warum ihm die Warnungen so egal sind und ob er in der Bastei sterben möchte.

Dieser Automat hat nicht einmal etwas falsch gemacht, sagt er, während Olga ihre persönlichen Sachen in einen Rucksack packt. Nicht einmal hat er ein Essen versalzen oder etwas auf dem falschen Teller ausgegeben. Er hat nie dreckiges Geschirr stehen lassen, weil er auf dem Dach eine rauchen war.

Er lacht und Olga muss lächeln, denn sie weiß, Donny redet über sich. Donny ist einer der wenigen Menschen, den sie kennt, der gerne Zeit draußen in der Hitze verbringt und der einzige, der raucht. Woher er die Zigaretten bekommt, ist ihr ein Rätsel. Er muss jemanden kennen, der noch Packungen von früher besitzt.

Ich habe unsere Adresse an das THW geschickt. Ein Volo wird uns hier rausbringen.

Donny wäscht sich die Hände.

Olga, sagt er, als er die Hände unter den Fön der Küchenmaschine hält. Er sieht sie direkt an mit seinem zerfurchten, von der vielen Sonne gegerbten Gesicht. Ist das denn wirklich nötig?

 

IV

Olga sitzt an einem der Tische an der Fensterfront, schaut auf die Wasserlandschaft, dorthin wo einst die alte Brücke stand, die zum Dom führte, und fragt sich, warum die Veränderungen des Klimas gerade diese Landschaft, den Ort, an dem sie aufgewachsen ist, so sehr verändern mussten. In diesem Moment ist sich sicher, dass es heute ihr letzter Tag in dieser Stadt sein wird. Ihre letzte Evakuierung. Noch mal macht sie das nicht mit.

Die wievielte Flutwarnung ist das dieses Jahr, sagt Donny und stellt zwei Flaschen Bio-Algensaft auf den Tisch. Aus seiner Jackentasche zieht er einen Flachmann mit dem Logo von Fortuna Köln.

Für die Würze, sagt er. Willst du auch?

Olga muss lächeln. Mit Donny war es immer angenehm hier. Sie trinken etwas aus den Flaschen mit dem Algensaft, füllen dann jeweils etwas aus dem Flachmann nach und stoßen mit den Flaschen an.

Mensch, Donny, wieviel Prozent hat das Zeug?

Niemals genug, lacht er.

Lu tritt aus der Küche in den Raum.

Hab ich euch wieder erwischt, ruft sie und macht eine entschuldigende Geste. Sie stellt sich zu den beiden an den Tisch, schaut aus dem Fenster, das langgestreckte Wasser, der blaue Himmel, sie legt ihre Hand auf die Schulter von Donny.

Selbst das Marriot ist schon weg, sagt Olga.

Ach, die drehen doch immer ihre Runden, sagt Lu. Für Herbst gibt es dort noch Sonderangebote. Wie wär’s?

Die Sonne funkelt auf dem Wasser, so seicht liegt es da.

 

V

Da ist er, sagt Olga und zeigt auf das heranfliegende Flugtaxi. Warum packt ihr nicht? Wir haben keine Zeit mehr.

Das ist doch völlig übertrieben, sagt Lu. Jetzt wo wir den Polsprung hinter uns haben.

Du willst es immer noch nicht wahrhaben, oder?

Olga, was soll denn passieren? Der Polsprung –

Nur weil sich Magnetpole verschieben, ist die Erderwärmung nicht vorbei. Es gab keinen Polsprung!

Lu schüttelt den Kopf und setzt sich an die Theke. Donny tritt aus der Küche und stellt sich zu ihr.

Ihr glaubt doch nicht wirklich diese Geschichten?

Der Lautsprecher des Volocopters ist zu hören. Begeben Sie sich umgehend auf das Dach.

Olga sieht Lu und Donny an.

So schlimm wird es schon nicht werden. Wir haben hier ständig Hochwasser und kleine Fluten, so ist das nunmal hier. Kölsches Wetter.

Aber, sagt Olga und möchte zu einem langen Monolog ansetzen, möchte den beiden die Welt erklären, auf die wissenschaftlichen Studien zur Erderwärmung und den Folgen auf das Klima und die Wetterbedingungen auf der Welt, in Europa, in Deutschland und in Köln verweisen, aber ihr stockt die Stimme, irgendwas steckt in ihrem Hals, sie hat das alles schon so oft getan, sie kann es in diesem Moment einfach nicht mehr, sie kann nur die Namen der beiden leise wiederholen: Lu, Donny, Lu und Donny.

Wir sehen uns, sagt sie und winkt den beiden zu.

Als sie schon aus dem Raum ist, die Treppen hoch, ruft ihr Donny nach: Aber komm bloß wieder, Olga. Du weißt, wie schwer es ist, hier draußen gutes Personal zu finden.

Vita

André Patten, geboren in Neuss, lebt in Köln und arbeitet für die Deutsche UNESCO-Kommission sowie freiberuflich als Kulturveranstalter, Autor und Dozent. 2014 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Kölner LAND IN SICHT e.V., für den er bis heute verschiedene Literaturformate wie die Short Story Night, den Kölner Förderpreis für junge Literatur und die Street Art Lesungen in Köln organisiert. Er studierte an der Universität Bonn, der Universität Wien und der LMU München sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Für seine literarischen und künstlerischen Arbeiten erhielt er verschiedene Preise und Stipendien. Die Kurzgeschichte Bastei entstand im Frühjahr 2023 für einen literarischen Spaziergang im Rahmen von „ClimaX – Literatouren zu Orten des Klimawandels“.