Autor*innen-Porträts

Elmar Tophoven

6. März 1923 – 23. April 1989

Elmar Tophoven
© Fritz Senn

Autor und Ort

Der bedeutende Übersetzer Elmar Tophoven wurde am 6. März 1923 in Straelen als Sohn eines Landarztes geboren. Er wuchs mehrsprachig auf, denn die aus Haarlem stammende Mutter sprach Niederländisch. Die Familie wohnte zunächst in Haus Hollen in der Kuhstraße 17, wo der Vater neben einer Wohnung auch Räume für seine Praxis gemietet hatte. Später bauten die Tophovens ein eigenes zweistöckiges Haus, wenige Meter Luftlinie entfernt, am Südwall 7. 1985 wurde Haus Hollen auf Initiative von Elmar Tophoven zusammen mit vier angrenzenden Gebäuden als Europäisches Übersetzer-Kollegium Straelen eröffnet. Sie bilden seitdem das weltweit erste und bis heute größte internationale Arbeitszentrum für Literaturübersetzerinnen und -übersetzer – mit 29 Zimmern und einer einmaligen Spezialbibliothek von über 125.000 Bänden (davon 35.000 Lexika in 275 Sprachen und Dialekten). Der Nachlass von Elmar Tophoven, der 1989 in seiner Heimatstadt verstarb, befindet sich in seinem ehemaligen Wohnhaus am Südwall und ist als Privat-Archiv für Forscherinnen und Forscher zugänglich.

Leben und Werk

Warum wurde das erste und bis heute größte internationale Arbeitszentrum für Literaturübersetzerinnen und -übersetzer ausgerechnet in der Provinz, in Straelen am Niederrhein, zehn Kilometer vor der niederländischen Grenze, gegründet?

Das ist einem Sohn der Stadt zu verdanken, dem Übersetzer Elmar Tophoven. Er war Sohn eines Straelener Arztes und einer niederländischen Mutter und wurde während des Zweiten Weltkriegs als Soldat an diversen Kriegsschauplätzen eingesetzt. Im amerikanischen Kriegsgefangenenlager auf französischem Boden bei Reims wurde ihm von einem Gendarmen Molières Komödie Le médecin malgré lui zugesteckt, die er mit ein paar Kameraden, ihr Schulfranzösisch zusammenkratzend, übersetzte und auf die Lagerbühne brachte. Das Theater und die französische Sprache blieben seine Leidenschaft und wurden seine Studienfächer an der Universität Mainz.

In Mainz kam die Zusammenarbeit mit einem anderen Niederrheiner zustande, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte, dem zwei Jahre älteren Moerser Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch, der dort mit der Jazzband „Die Uni-Rhyth­mi­ker“ Chansons sang. Tophoven gewann ihn, bei seiner Karnevalsrevue „Der B(r)ettelstudent“ in der Aula der Universität, das Lied „Ich bin ja so unmuskulös“ vorzutragen.

Ende 1949 ging er nach Paris, lernte den armenisch-französischen Dramatiker und Übersetzer Arthur Adamov kennen, der ihm zunächst Hörspiele, später Theaterstücke zu übersetzen gab und ihm dabei die vielfältigen Ansprüche eines literarischen Werks vermittelte, denen eine Übersetzung gerecht werden muss: Auf den Ton einer Stimme, auf Zwischentöne, aber auch Obertöne von Wörtern galt es zu achten. Adamov nahm ihn mit in die denkwürdige Uraufführung von Samuel Becketts Stück En attendant Godot am 5. Januar 1953 im Théâtre de Babylone, die für Tophoven ein einschneidendes Erlebnis wurde. Innerhalb weniger Wochen übersetzte er das Stück in Zusammenarbeit mit dem Autor ins Deutsche und bot es dem S. Fischer Verlag an, der es ohne Änderungen übernahm. Dies war der Beginn einer lebenslangen engen Zusammenarbeit, in deren Verlauf der Sprachkünstler Beckett Tophovens Ohr für Wortspiele und Klangassoziationen weiter schärfte.

1952 wurde Tophoven Lektor für Deutsch an der Sorbonne. Nach dem Tod Paul Celans 1970 übernahm er dessen Lehrauftrag an der Pariser École Normale Supérieure und unterrichtete dort bis 1987 das Literaturübersetzen ins Deutsche. Zeitlebens propagierte er das „transparente Übersetzen“ und dokumentierte auf Hunderten von Zetteln für sich und andere seine Übersetzungsstrategie, seine jeweiligen Denk- und Entscheidungsschritte auf der Wort-, Satz- oder Klangebene. Er blieb mit seiner Familie in Paris, denn er hielt es als Literaturübersetzer für notwendig, „mit dem Ohr auch in dem Sprachraum zu leben, in dem die Werke gedeihen“.

Tophoven hat neben dem Werk Becketts auch viele Werke anderer zeitgenössischer Autorinnen und Autoren wie Nathalie Sarraute und Geneviève Serreau, Alain Robbe-Grillet und Claude Simon übersetzt.

Von 1976 bis 1986 erschien im Suhrkamp Verlag Frankfurt die elf Bände umfassende Ausgabe der Werke Becketts, herausgegeben von Elmar Tophoven und dem Übersetzer, Journalisten, Schriftsteller und Vorsitzenden des Verbands deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke Klaus Birkenhauer.

1972 verlieh die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung den Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung Elmar Tophoven „als dem Anwalt des Nouveau Roman und dem Wegbereiter Samuel Becketts in Deutschland“. In seiner Dankesrede beschrieb Tophoven seine Vision eines Übersetzerhauses, wo der gemeinsame Gedanken- und Erfahrungsaustausch, den die deutschen Kolleginnen und Kollegen seit 1967 einmal jährlich auf ihren Fachtagungen, den sogenannten „Eßlinger“, später „Bergneustädter Gesprächen“ veranstalteten, in europäischem Maßstab und auf Dauer stattfinden sollte. 

Mit Verve und Hartnäckigkeit warb er seitdem bei vielen Gelegenheiten für diese Idee und machte auch einen ehrwürdigen Vorgänger seines Modells im spanischen Toledo des 11. und 12. Jahrhunderts aus: Dort hatten unter arabischer Herrschaft lebende christliche und spanisch-jüdische Gelehrte Werke aus der Antike und aus dem Arabischen übersetzt, die im 9. Jahrhundert im „Haus der Weisheit“ in Bagdad gesammelt worden waren.

Realität wurde dieses Toledo II schließlich in Tophovens Geburtsstadt Straelen, wo er Bürgermeister, Stadtdirektor und Stadtrat für diese grenzüberschreitende europäische Idee gewinnen konnte. Die Gelegenheit war günstig: Die Stadt befand sich in der zweiten Phase ihrer Stadtkernsanierung und besaß in der Kuhstraße einen Gebäudekomplex aus fünf denkmalgeschützten, aber sanierungsbedürftigen Häusern, der nach langjähriger konzeptioneller, juristischer und finanzieller Vorarbeit 1985 mit 28 Appartements und einer rapide wachsenden Bibliothek als „Europäisches Übersetzer-Kollegium, Straelen, e. V.“ eröffnet wurde, mit Klaus Birkenhauer als Geschäftsführer vor Ort und Elmar Tophoven als Präsident. 

Von Renate Birkenhauer

Warten auf Godot (1952)

WLADIMIR Wir haben hier nichts mehr zu tun. 
ESTRAGON Anderswo auch nicht. 
WLADIMIR Hör mal, Gogo, sei nicht so. Morgen geht’s wieder besser. 
ESTRAGON Wieso? 
WLADIMIR Hast du nicht gehört, was der Junge gesagt hat? 
ESTRAGON Nein. 
WLADIMIR Er hat gesagt, daß Godot morgen bestimmt kommt. Pause Das sagt
dir wohl nichts?
ESTRAGON Also brauchen wir nur hier zu warten. 
WLADIMIR Du bist verrückt. Wir müssen irgendwo unterkommen. Er packt Estragon am Arm. Komm.
Er zieht ihn weiter. Estragon gibt zunächst nach und leistet dann Widerstand. Sie bleiben stehen.
ESTRAGON schaut den Baum an. Schade, daß wir kein Stück Kordel haben. 
WLADIMIR Komm. Es wird kalt. Er zieht ihn hinter sich her. Estragon gibt zunächst nach und widersetzt sich dann.
ESTRAGON Hilf mit daran denken, daß ich morgen einen Strick mitbringe. 
WLADIMIR Ja. Komm. Er zieht ihn hinter sich her. Estragon gibt zunächst nach und widersetzt sich dann.
ESTRAGON Wie lange dauert es nun schon, daß wir immer zusammen sind? 
WLADIMIR Ich weiß nicht. Fünfzig Jahre vielleicht. 
ESTRAGON Erinnerst du dich an den Tag, an dem ich in den Neckar gesprungen bin? 
WLADIMIR Wir waren bei der Weinlese. 
ESTRAGON Du hast mich herausgefischt. 
WLADIMIR Das ist längst begraben und vergessen. 
ESTRAGON Meine Kleider haben in der Sonne getrocknet. 
WLADIMIR Denk doch nicht mehr daran. Komm. Estragon gibt zunächst nach und bleibt dann wieder stehen. 

(zitiert nach: Samuel Beckett: Warten auf Godot. Deutsche Übertragung von Elmar Tophoven. In: Dramatische Dichtungen in drei Sprachen. Ausgabe in einem Band, Frankfurt am Main 1981, S. 112f.)