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Zum Kaffee einkehren

Suleman Taufiq über seinen Lieblingsplatz in Aachen: den Hof.

Mitten im Herzen der Altstadt von Aachen, in Blickweite zum Aachener Dom und zum Rathaus, liegt der Hof. Er ist mein Lieblingsplatz, ein Platz, wo man sich trifft und sich in Ruhe niederlassen kann. Das habe ich schon vor 30 Jahren als Student gemacht, und jetzt sitze ich immer noch da, und das wird auch so bleiben. Mit seinem schönen Ambiente wirkt der Ort auf mich sehr romantisch. Man spürt hier die Abgeschiedenheit von der Stadt und die Offenheit zum Himmel.

Ich schlendere gerne dort umher. Überall kleine Läden und einige beliebte Restaurants, Straßencafés und Kneipen, ein Ort der kulinarischen Multikulturalität. Ständiges Gedränge. Stimmen aus allen Richtungen. Und trotzdem – der Hof ist ein Refugium, eine Insel der Ruhe. Ich bin in der Stadt und gleichzeitig weit weg von ihrem Lärm. Hier trifft sich ein gemischtes Publikum. Auf dem kleinen Platz hört man Französisch, Englisch, Griechisch, Türkisch, Arabisch.

Ich liebe diesen Ort besonders, wenn es warm ist, dann sind die Straßencafés rundum gefüllt und man sitzt praktisch inmitten all des Trubels. Hier scheint Geschichte noch lebendig und gegenwärtig zu sein.

In den Gassen, die zum Hof führen, duftet es köstlich nach Zimt, Nelken und anderen Gewürzen, die einen sofort an Weihnachten erinnern. Denn hier gibt es seit Hunderten von Jahren Bäckereien, die die berühmten Aachener Printen backen. Es gibt verschiedene Geschichten über die Entstehung dieses Gebäcks. Sicher aber ist, dass die Hauptzutaten, nämlich die Gewürze, aus dem Orient stammen.

Auf der rechten Seite des Platzes überragen mehrere weiße römische Säulen, von Torbögen gekrönt und als „Portikus“ bezeichnet, ein kleines Amphitheater, in dem im Sommer immer ein Festival stattfindet. Es treten dort Musiker, Komiker, Jongleure, Erzähler auf. Die Säulen sind Nachbildungen aus der Römerzeit. Einige der Originale sind im Foyer des Rheinischen Landesmuseums in Bonn wiederaufgebaut worden. Wir befinden uns also im Zentrum des römischen Aachens.

Aufgrund der Sehnsucht, die dieser Ort ausstrahlt, und aufgrund der Bilder, die die Erinnerung an die Vergangenheit wachrufen, habe ich mich von Anfang an für den Hof entschieden. Uns kommen viele Bilder in den Sinn, sobald wir über diesen Ort nachdenken. Dann sieht das Auge keine Dinge, sondern Bilder von Dingen, die auf andere Dinge hinweisen. Vielleicht finde ich den Platz auch nur so schön, weil er mich, besonderes in den Sommertagen, an südländische Städte erinnert.

Jeden Donnerstag kehre ich dort zum Kaffee ein und setze mich in mein Stammcafé „Domkeller". Das Lokal gehörte zu den ersten in der Stadt, die draußen Stühle und Tische aufstellten. Es erinnert mich an Kaffeehäuser in meiner alten Heimatstadt Damaskus. Ich sitze auf einer Bank, lehne mich an die Wand und überlasse mich dem Ort, der mich in sich aufnimmt. Die Tische quellen über vor Leuten, die sich unterhalten, Zeitung lesen oder Sonnenlicht tanken. Jede Minute sehe ich vor mir neue Bilder. Die Akteure wechseln. An jeder Ecke gibt es eine Überraschung. Der Hof ist wie eine verborgene Insel inmitten der Stadt.

Vita

Suleman Taufiq, dessen Eltern aus Syrien stammen, wurde 1953 in Beirut geboren und wuchs in Damaskus auf. Seit 1972 lebt er in Aachen, wo er Philosophie und Komparatistik studierte und auch anfing zu schreiben. Er verfasst Gedichte, Romane, Erzählungen und Geschichten für Kinder und übersetzt arabische Werke ins Deutsche. An Aachen gefällt ihm besonders die Nähe zu den Grenzen und dass sie leicht zu überqueren sind, um in eine andere Kultur einzutauchen. Einmal bezeichnete ihn eine Aachener Tageszeitung als „Öcher Syrer“. Er findet das treffend.