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Oase im Großstadt­dschungel

Morgaine Prinz über den Düsseldorfer Volksgarten/Südpark und das Ankommen in einer neuen Stadt.

Anfang 2020 stand ich vor den verschlossenen Toren der Stadt. Dieser Stadt, die mich mit großen Versprechungen und noch größeren Möglichkeiten lockte. Diese Stadt, die Ausgangspunkt vieler Reisen werden sollte und nun zum Schutz ihrer Bewohner*innen erstarrt und meinen Radius auf vier Wände beschränkt. Ihre Hallen, Säle und Sammlungen vertrösten mich auf eine unklare Zukunft.

Es bleibt nur der Weg nach draußen, um dem monotonen Drinnen zu entkommen. Dort treffe ich dich, inzwischen alte Freundin, und du empfängst mich mit offenen Armen. Heißt mich herzlich willkommen in dieser Stadt, die den Atem anhält. Mit dem ersten Schritt, den wir gemeinsam gehen, kann ich aufatmen, und ich bekomme endlich das Gefühl, dass dieser Ort hier wirklich und wahrhaftig mein neues Zuhause werden kann. So kitschig es sich auch anhört: Es war Liebe auf den ersten Blick.

Als wir uns kennenlernen, ist es kalt und eisig, doch es macht mir nichts aus, denn jeder Schritt, den wir zusammen gehen, wärmt mich von innen und zeigt mir wie viel Schönheit in der Varianz liegt, spiegelt meine eigenen, oft konträren Wesenszüge und reflektiert sie in deiner Vielfältigkeit. Gewundene Wege treffen auf gerade Alleen, versteckte Winkel auf weite Auen. Stundenlang erkunde ich deine Natur, deine Eigenarten, dein Wesen.

Stunden werden zu Tagen werden zu Wochen werden zu Monaten wurden zu Jahren. Durch alle Jahreszeiten treffen wir uns immer und immer wieder. Erzählen uns Geschichten von früher und berichten von Neuigkeiten. Ich sehe, wie du dich verwandelst, und, liebe Freundin, auch ich habe mich in den Jahren, in denen wir uns nun kennen, verändert. Aber das weißt du. So wie du oft die Erste bist, die weiß, was mich beschäftigt oder bedrückt, was mich bekräftigt und beglückt.

Unsere anfänglichen täglichen Treffen werden seltener, seit die Welt wieder Fahrt aufnimmt, aber das macht dir nichts aus. Du wartest geduldig, bis ich wieder Zeit für dich habe, und bist ganz aufgeregt, weil du mir unbedingt zeigen möchtest, was sich seit meinem letzten Besuch verändert hat.

Gemeinsam sehen wir dem Schnee beim Schmelzen zu, den Knospen beim Aufbrechen, den Blumen beim Wachsen; gemeinsam mit dem Gras ächzen wir unter der knallenden Sonne und stehen lächelnd unter verfärbten Blättern, bis sich wieder Schnee auf alles legt.

Deine Wasserläufe lassen meine Gedanken fließen, deine Farben inspirieren meine eigene Kunst. Über den schmalen Grat zwischen Natur und Kultur wandelst du meisterhaft, wechselst zwischen ungezwungener Wildheit, kunstvoller Zähmung und mit Leichtigkeit wieder zurück. Warum sollte ich meine Schritte selbst setzen, wenn ich so eine kundige Begleiterin habe? Was mir verborgen geblieben wäre, wenn ich mit einem Ziel zu dir gegangen wäre? Was ich wohl nur entdecken konnte, weil ich meine Schritte von dir bestimmen ließ?

Du bist meine Oase in diesem Großstadtdschungel. Lässt mich ausruhen und neue Kraft an deiner Quelle schöpfen, schaffst mir Räume der Ruhe und wertest nicht, denn du weißt, dass ich mich Wertung und Bewertung schon genug stellen muss.

Je wärmer es wird, desto mehr Besuch bekommst du, aber nur die wenigsten kennen deine verborgenen Ecken und nehmen sich die Zeit, sie zu entdecken. Ich lächle über die Massen, die sich an manchen Tagen zu dir schieben, denn wir sind alte Vertraute und teilen Geheimnisse miteinander, die diese flüchtigen Bekannten nicht einmal erahnen können.

Ich stelle dir meine Liebsten vor, und zusammen zeigen wir ihnen unsere bevorzugten Plätze, bevor wir uns in stiller Vertrautheit und Zweisamkeit an den Orten verabreden, die nur uns gehören. Uns und dem Wind, der Sonne, dem Regen und unserer Freundschaft, die gewachsen ist in den vergangenen drei Jahren. Drei Jahre, in denen ich mich an deinen Wurzeln anlehnen konnte, wenn meine eigenen mich ins Straucheln brachten, drei Jahre voller Zweifel und Sorgen, doch auch gefüllt mit Erlebnissen, Liebe und einem festen Blick auf morgen. Anfang 2020 stand ich vor den verschlossenen Toren der Stadt. Beinahe drei Jahre später ist sie auch dank dir, meine Freundin, eine Heimat geworden.

Vita

Morgaine Prinz ist Poetry-Slammerin, Künstlerin und Fotografin. Seit 2019 tritt die Wahl-Düsseldorferin mit ihren Texten auf, 2020 wurde sie Trize-Meisterin Rheinland-Pfalz, 2021 und 2022 erreichte sie das Finale der Slam-Meisterschaften in NRW und ebenfalls 2022 das Halbfinale bei den deutschsprachigen Meisterschaften. Sie ist Mitgründerin des Musenkollektivs - einem queerfeministischen Veranstaltungsteam für Poetry Slam-, Comedy- und Kleinkunst-Formate in und um Düsseldorf.