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Köln, Barbarossa­platz

Thorsten Krämer über einen Platz, der eigentlich keiner ist und an dem es nie langweilig wird.

Peking hat die Verbotene Stadt, Köln den Barbarossaplatz. Eine leere Mitte; ein Herz, das nicht schlägt. Dabei ist der Barbarossaplatz noch nicht einmal ein richtiger Platz: Zwei ineinander gestauchte Kreuzungen bilden ihn; es gibt hier keine Freifläche, keine Begrünung, nichts, das zum Verweilen einlüde. Das war früher einmal anders. Es gibt historische Aufnahmen, die den Platz als tatsächlichen Platz zeigen, Passanten spazieren freimütig umher und lüften zum Gruß den Hut – aber wer will das sehen? Die Stadt ist kein Ort für Idyllen, und wo sie dennoch künstlich eingerichtet werden, haben findige Investoren ihre Finger im Spiel. Auch in Köln finden die üblichen Gentrifizierungsprozesse statt; hier werden sie deutlich etwa am neuen REWE an der Ecke, der vor einigen Jahren das BAUHAUS ersetzte, das zuvor dort mehrere Dekaden bestand: Der Supermarkt ist eine Spur zu schick, zu zeitgemäß, zu erkennbar an den Bedürfnissen einer neuen Bevölkerungsschicht orientiert, die nicht mehr ein Veedel, sondern ein Quartier bewohnt. Auf der Nordseite des Platzes geht es in die Kyffhäuserstraße, lange Zeit der dreckige Zwilling der belebteren Zülpicher Straße gleich nebenan. Inzwischen haben auch hier längst die smarten Burgerläden aufgemacht, in denen man bei der Bestellung zuerst nach seinem Vornamen gefragt wird. Aber so ist das, die Zeiten ändern sich, nur der abgeranzte Barbarossaplatz trotzt stoisch allen Verschönerungsbestrebungen. Und das, seit ich ihn kenne.

„Schau in allem was sich ändert / hat ein Kaufmann investiert‟, sang die Hamburger Band Cpt. Kirk &. schon Anfang der 90er Jahre, als ich neu in Köln war und irgendwie immer wieder am Barbarossaplatz landete. Zunächst nur im Transit, umsteigend von Bahn zu Bahn. Dann aber fing ich bald an, ihn als Treffpunkt vorzuschlagen, als Ort, an dem Unternehmungen ihren Anfang (oder oft auch ihr Ende) nahmen, die mir nachhaltig in Erinnerung geblieben sind. Auch als ich später dann, längst mit Familie versehen, im Kölner Süden wohnte, kam ich vom Barbarossaplatz nicht los. Stand da, wartend auf die Linie 16, die mal wieder ausgefallen war, während im Minutentakt die Linie 18 vorfuhr. Aber langweilig wird es nie am Barbarossaplatz, die Ödnis hier ist in Wahrheit nur die so selten gewordene Abwesenheit von Schmückendem, Überflüssigem. Hier passiert auch ohne Masterplan, wovon Stadtentwickler träumen: Die Leute selbst nutzen diesen Ort, wie es für sie passt. Döner, Büdchen, Bäcker, Bahn – mehr braucht es nicht, und mehr gibt es hier auch nicht. Das zeigt sich etwa in der Adventszeit: Während ansonsten jede Baulücke in Köln ihren eigenen Weihnachtsmarkt bekommt, präsentiert sich der Barbarossaplatz in dieser Zeit in geradezu heidnischer Unschuld. Selbst ein Glühweinstand wäre schon zu viel des Guten. Sogar das Nachtleben macht einen dezenten Bogen um den Barbarossaplatz. Hier sammelt sich kein Partyvolk, kommen keine rhabarbarisierenden Massen zusammen wie am Brüsseler Platz. Höchstens wird einmal die Schlange am McDonald‘s etwas länger als sonst. Einmal sah ich dort am Eingang einen Zettel hängen, der die Kundschaft äußerst zerknirscht um Verständnis für eine ausnahmsweise reduzierte Öffnungszeit bat: „Wegen Inventur haben wir heute leider nur bis 3 Uhr geöffnet.“ Nur bis 3 Uhr nachts! Ist das nicht rührend? Am Barbarossaplatz kennt man seine Klientel, und die Somnambulen gehören unbedingt dazu – wie alle, die andernorts durchs Raster fallen und sich hier finden.

Vita

Thorsten Krämer wurde 1971 in Wuppertal-Elberfeld geboren und lebt seit 2017 in Wuppertal-Wichlinghausen. Dazwischen liegen 25 Jahre in Köln. Mit anderen Worten: So nahe wie heute war er Westfalen noch nie.