Jetzt beginnen
Christoph Leisten über die Allee „Baum des Jahres“ an der wegen des Tagebaus verlegten A4 zwischen Düren und Kerpen.
JETZT BEGINNEN die dünen bei elsdorf: im rauschen
der fahrbahn künstlich aufgeworfene natur, ein
tägliches pendeln ins gestern zurück, beschildert
als chronik der bäume. dies fünf-minuten-memento,
am rande registriert, im seitenblick, während, die hände
am steuer, die augen fixiert aufs verkehrsaufkommen,
die zeit sich rückwärts bewegt, als beginne das jetzt
mit dem jahr 2018, als kämen wir übern asphalt
zum anfang zurück, mit edelkastanie, winterlinde, vogel-
kirsche; namen, die jahr für jahr auf der zunge
zergehn wie das grün zu beiden seiten der strecke,
doch anhalten können wir nicht. auch bleiben
die abgründe unsichtbar, die schneise verstellt
den blick auf den forst, den abbau, bruchkanten
und lost places, langsam überwuchert von lautem
vergessen. die alte malzfabrik, jetzt ein anderes
akustisches archiv. graffitis, die signaturen der brücken-
köpfe. wir haben uns längst an die neue trasse
gewöhnt, das verschwinden von orten
im fahrtwind. im radio das feature vom tag,
prognosen über den ausgang der krise. kein zweifel,
es hat sich etwas verändert. beiseite geschildertes
grün. bis merzenich blättern die bäume zurück, sommer-
linde, rotbuche, stieleiche, überflutungstolerant,
dann ist mit 1989 schluss. dahinter lärmschutzwände,
die wolke von weißweiler, raststätte aachener land:
dein weg nach hause in kindertagen. was bleibt,
ist das rauschen, fast wie ein meer, der wald
aus kinderzeit, gesetzt, wir könnten anhalten jetzt,
die hände offen, die augen geschlossen. und sehn.
Vita
Christoph Leisten, geboren 1960 in Geilenkirchen, lebt bei Aachen. Er ist Lyriker, Prosa-Autor und Essayist.