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Fliesen­roman

Nika Bertram über den Bahnhof Köln Messe/Deutz und dessen spezielle Farbgestaltung.

Braunorange, das war die Farbe meiner Kindheit. Die Farbe meines Kugelweckers, von selbstgehäkelten Topflappen und Stoffhasen, Pullundern und Prilblumen. Eine Farbe, die ich nie mochte und nicht einmal hassen konnte. Ich kann mir nicht erklären, warum ausgerechnet sie mich schon so lange begleitet. Sie ist wie die alte Nachbarin, mit der du nie geredet hast, die dich aber überall begleitet, verfolgt, die am gleichen Ort geblieben ist, en unsrem Veedel, wie immer. Es ist eine Farbe, die allen Stürmen und Moden trotzt, eine Drei-Wetter-Farbe.

Diese Farbe ist bei mir eng verbunden mit den Wandfliesen in der U-Bahn-Station Köln Messe-Deutz. Warum? Das sind nicht irgendwelche Fliesen. Nur Immis und Touristen würden sie als hässlich bezeichnen. Als ich als Teenager in den Achtzigern am Bahnhof Deutz ankam und mit meinen schwarzen Doc Martins erstmals Kölschen Boden berührte, sah ich nicht zuerst den Dom, sondern diese braunorange Kachelwand. Hi, Kleines, hier ist die Großstadt, sagte sie. Hier ist alles punk und laut und dreckig, und ich bin sicher, es wird dir gefallen.

Es war mein drittes Konzert – und das erste, das für mich wirklich zählte. Ich war nervös, wir waren früh losgefahren, um noch Plätze in der ersten Reihe zu bekommen. Toupiert und weiß geschminkt saßen wir im Regionalzug und schauten bedeutungsvoll auf die vorüberziehende Landschaft herab. Stundenlang hatten wir uns gestylt und alles an schwarzen Klamotten ausgegraben, was die Läden in Aachen Land zu bieten hatten. Ich hoffte, niemand würde die feinen pinken Streifen auf meinem Mantel erkennen. Der Weg zur Sporthalle führte vom Bahnhof Deutz durch den Tunnel Richtung Messegelände. Wir fanden den Weg nicht sofort, der Tunnel war ein Labyrinth, bunt wie ein Drogentrip, und wir hatten es eilig. Es lief alles gut. Wir bekamen Plätze in der ersten Reihe und das Konzert und Köln waren toll, ein einziger Traum, mit der Macht, alle bösen Träume der Kindheit zu vertreiben.

Fast forward vier Jahre: Ich bin wieder in Köln, um mich an der Uni einzuschreiben und ein WG-Zimmer zu suchen. Ich lande wieder in Deutz, weil ich die falsche Bahn genommen habe, ich bin wieder in diesem Tunnel, in dieser Station. Wieder diese Kacheln, dieses Braunorange. Das ist immer noch nicht renoviert? Ich wundere mich, kurz – Köln halt – und verliebe mich sofort.

Plus dreizehn Jahre: Wir ziehen in unsere erste gemeinsame Wohnung, natürlich in Deutz, schleppen Tapetenkleister und Putzeimer durch den Tunnel, und ich sehe die Farben schon nicht mehr.

Plus fünf: Ich bin jetzt Mama und wünsche mir wirklich, dass diese verflixt-verdammte Station endlich renoviert wird, mit Aufzügen und sämtlichen barrierefreien Basics. Jemand sagt: Geht nicht, Denkmalschutz. Ich lerne mehr über die dunkle Vergangenheit des Bahnhofs während des Dritten Reichs. Als ein Ausgang versperrt wird, sehen wir, dass es im Tunnel Türen zu einer geheimen U-Bahn-Station gibt. Einige Kacheln wurden abgeschlagen und direkt neu verputzt, wieder braunorange.

Plus vierzehn: Dreißig Jahre nach dem Konzert in der Sporthalle, die es längst nicht mehr gibt, kommt die Band wieder nach Deutz, die Kacheln kleben immer noch – grinsend, bilde ich mir ein und grinse zurück.

Plus sechs, letztes Jahr: gleiche Band, gleiche Halle, nur jetzt mit Sitzplatz, wegen Rücken. Da fällt mir auf: Im Tunnel platzen die Fliesen ab, immer mehr. Ich fange an, sie zu vermissen.

Vita

Nika Bertram, in Aachen geboren und seit dem Abitur Kölner „Immi“, ist freie Schriftstellerin und Wissenschaftsjournalistin für Raumfahrt- und Digitalisierungsthemen und fühlt sich wohl in allen Grenzregionen und Genres (Hörspiel, Roman, Theater).