Textstellen

Das Geheimnis der Gärten

Liesel Willems über Naturgärten in Krefeld-Hüls.

Das Geheimnis der Gärten klebt mir unter den Sohlen, seitdem ich die kleinen Schuhe trug und nach dem Ausharren in der Schule vom gebotenen Weg abbog. Da hatte ich nichts zu suchen. Da durfte keine Beere gepflückt, kein Zweig abgebrochen, kein Beet betreten werden. Zu groß war das Wagnis, mein Streunen käme den Eltern zu Ohren.

Lag das Geheimnis der Gärten im Übertreten des Verbotenen? Oder gaben die Eltern das Verbot aus, damit ich die Natur betrachte, damit ich Bescheid wüsste, wie seit Urväter- und Urmüttergedenken Wachstum geschieht und dass deshalb das Abzweigen ins verwunschene Grün ihnen gerade recht kommen musste?

Ich weiß nicht, was mir mehr Furcht einflößte von dem, was hinter der Stille lag, wenn ich zu ihr einbog: einer, der mich entdecken könnte, oder einer, der gerade beim Spateneinstechen tot umfiel, wie Opa Schommer beim „schönen Tod“.

Vielleicht war es der vom Efeu umrankte Pulverturm, in dem sich vielleicht noch Munition verbarg. Oder war es die Streuobstwiese, über dem Judenfriedhof, und warum keiner die Äpfel davon aß? Vielleicht war es die wildgewordene Geschichte, die mir hinter den Hecken und dem Gesträuch entgegenstob.

Die trag ich schon mein Leben lang im Schulranzen, neben der zerbrochenen Tafel, zusammen mit dem untrüglichen Wissen vom Wechsel der Jahreszeiten, vom Wachsen und Werden und der Frage, was gehegt werden muss, damit uns die Erde unter den Nägeln brennt.

Deshalb und weil das Wüten der Welt mit unseren Bauwerken auf diesem Kleinod weitergetrieben werden soll, lege ich Zeugnis ab über diesen selten gewordenen Ort, in dem uns das Wachsen noch geschenkt wird, als Gegenbild für alles, was man mir als schlau und rentierlich weismachen will.

Darum will ich den heimlichen Pfad nicht verlieren, durch den ich immer und erneut verschwand, zwischen Hecken und Brombeergesträuch, das mir die Beeren über dem Kopf auswog. Beschreibe mein Innehalten vor einem vom Wachsen eingewundenen Tor, hinter dem sich die Wildnis von selbst verschloss und nur meiner Einsicht Einlass gebot.

Dann erst probierte ich herabgefallene Pflaumen, sah zu, wie die Sonne durchs Gesträuch ihr betörendes Spiel mit mir trieb, mit mir und dem Morgentau, der mit seinen schillernden Perlen wohl über Nacht auf jeden Grashalm zu meinen Füßen geschlichen war.

So fand ich den braunroten Stendelwurz, gehorchte den Klopfzeichen des Spechtes vom knorrigen Apfelbaum, dem mehr Früchte erwuchsen, als seine Zweige ertragen konnten. Damit er nicht an seiner rotwangigen Last zerbrach, war er mit  großer Sorgfalt abgestützt. Vielleicht von den ewigen Gärtnerinnen und Gärtnern, die immer noch die Saat auslegen, für uns und unsere Kinder, gegen die Entwurzelung unseres Daseins.

An meinen Schuhen klebt Erde aus den Gärten, zu viel, um sie leichtfertig aus dem Haus, aus dem Dorf zu fegen, solange meine Sprösslinge mit kleinen bepflanzten Holzkisten auf Asphalt vorliebnehmen müssen, die man Schulgarten nennt.

Vita

Liesel Willems, 1950 in Krefeld geboren, kehrte nach neunjähriger Abwesenheit durch Studium und Auslandsaufenthalte an die bescheiden auftretende Landschaft des Niederrheins zurück. „Nur Kappes und ab und zu ein Kirchturm“, lachten die Freunde aus der Fremde, bis sie näherkamen. Neben ihrer Arbeit als Sozialpädagogin veröffentlicht sie seit 1981 Gedichte und Geschichten für Erwachsene. Von ihren vier Töchtern ließ sie sich überreden, „mal was Vernünftiges“ zu schreiben. Das war der Anstoß für ihre Kinderbücher. Ein neuer Themenschwerpunkt ist ihre biografische Arbeit Nachsicht mit dem Blick auf die Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus.