Textstellen

Conny Plank, der TSV und (k)ein Römerschatz

Anke Glasmacher über die „Bindestrich-Gemeinde“ Neunkirchen-Seelscheid.

Geboren wurde ich in der Zeit der kommunalen Neugliederung. Aus Seelscheid, wo ich herkam, und Neunkirchen wurde eine Bindestrich-Gemeinde, zwei Gemeinden auf einem Berg, zu erreichen nur, wenn man vorher durch ein langgestrecktes Tal – das Wahnbachtal – fuhr. Neunkirchen hatte die weiterführenden Schulen, das Schwimmbad, das Rathaus und die Polizeistation. Und am Stadtrand: Conny Plank, diesen experimentellen Tonkünstler und innovativen Musikproduzenten der 1970er und 1980er Jahre. Heute legendär! 

Seelscheid hatte den Polizisten. An ihn erinnere ich mich, weil er nebenberuflich für den stets gut gefüllten Kaugummiautomaten am Ort verantwortlich war. Hier war das erfolgreichere Fußballteam schon früh das der Frauen, der TSV Seelscheid spielte in den 1980er Jahren in der bundesweit höchsten Spielklasse. Seelscheid kennen die, die auf der B56 unterwegs sind. Und natürlich die Fans der TV-Serie „Mord mit Aussicht“, die zwischen 2008 und 2014 in Teilen der Gemeinde gedreht wurde („Gasthof Aubach“).

Da, wo ich aufgewachsen bin, besaßen nahezu alle Eltern ein Haus mit Garten und wir jeweils einen Hund, erst einen kleinen Dackel, der wegen einer Krankheit nicht größer als eine Woche wurde, dann einen tiefergelegten Basset Hound, den meine Mutter aus der dunklen Ecke einer Boutique gerettet hatte, zum Schluss einen afghanischen Windhund, dessen Eltern noch prämierte Rennhunde waren, unserer aber hatte Übergewicht und sehr eigene Vorstellungen über das Laufen in eingezäuntem Gelände. Ein Freigeist an der Leine.

Hinter den Häusern auf der Straße nach Neunkirchen lagen Felder und Kühe, Obstbäume und manchmal ein frisches Kälbchen. Seelscheid konnte sich drei Metzgereien leisten. 

Der Pflaumenbaum meiner Kindheit steht noch immer dort, auf dem Weg runter nach Gutmühle links, alleine vor einem riesigen Maisfeld, inzwischen klein und knochig und voller Erinnerungen. 

Auf dem Weg Richtung Köln liegt ein anderes Tal – das Naafbachtal – und die Weiler Rippert, Rengert, Effert, Wahlen. Ein dörflicher Vierklang. Poetisch und widerständig und lautmalerisch untrennbar, auch nicht durch die reißbretternden Fluten einer Trinkwassertalsperre, die das Naafbachtal auffüllen sollte. Dazu kam es nicht. Die Häuser in den Weilern wurden unter Denkmalschutz gestellt und das Naafbachtal unter Naturschutz. Nicht so gut für Köln, Köln kratzt heute weiter Kalk aus dem Hahn.

Mein Vater war im Gemeinderat. Als die Bauern ihre Felder Ende der 1970er Jahre für das Neubauwohnen verkauften, rief mein Vater auf unserer sonntäglichen Familienratssitzung zu Namensvorschlägen für die Straßen im neuen Viertel auf. Meine Mutter machte das Rennen. Sie mochte Igel. Igelweg, Hamsterweg, Biberweg, Marderweg – heute wie damals eine ruhige Wohngegend. „Kleintier-Viertel“ nannte es zum Glück noch niemand.

Das mit den Straßennamen hatte ich mir auf jeden Fall gemerkt. Und so rannte ich eines sonnigen Vormittags zu meinem Vater ins heimische Büro und legte ihm aufgeregt ein paar Blumenkübeltonscherben auf den Tisch. Ich malte mir Großes aus. Hatte ich sie doch entlang der Römerstraße im Urnenfeld gefunden. Römer, auch in Seelscheid! Aber mein Vater winkte ab. Und ich verließ enttäuscht das Büro, überzeugt, einen alten Römerschatz gefunden zu haben, und insgeheim sicher: Die Geschichte würde das noch zeigen.

Vita

Anke Glasmacher, geboren 1969 in Bensberg, wuchs in Seelscheid auf und machte am Antoniuskolleg der Salesianer Don Boscos in Neunkirchen ihr Abitur. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Pädagogik an den Universitäten Bonn und Köln und zog im Anschluss nach Berlin. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin in Köln. Für ihre Texte wurde sie mehrfach ausgezeichnet.