Autor*innen-Porträts

Roger Willemsen

15. August 1955 – 7. Februar 2016

Roger Willemsen
© Sharon Nathan / Wiki Commons

Autor und Ort

Roger Willemsen wurde in Bonn geboren und verbrachte die ersten fünf Jahre seiner Kinderheit mit seinem älteren Bruder und der jüngeren Schwester auf Schloss Alfter, westlich der damaligen Bundeshauptstadt. Die Familie wohnte in einem günstigen Mietshaus am Schlosshof, da sein Vater, der damals als Maler tätig war, zwar wenig Geld hatte, es aber als selbsternannter Bohemien „irgendwie apart“ fand, so beschrieb es Willemsen einmal in einem Interview. Diese prägende Zeit, um die Willemsen „sehr froh“ war, färbte auf seine ersten Geschichten ab, „halb märchenhafte Texte, die immer mit Kutschen und Fürsten zu tun hatten“. Danach zog die Familie in ein eigenes Haus im Nachbarort und Bauerndorf Oedekoven um. In der dortigen Pfarrbibliothek lieh er regelmäßig Bücher aus. Willemsen machte Abitur am Helmholtz-Gymnasium in Bonn-Duisdorf und studierte anschließend unter anderem an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität.

Leben und Werk

Am 15. August 1955 wurde Roger Willemsen in Bonn geboren. Sein Vater Ernst Willemsen war Kunsthistoriker, Restaurator und Maler, seine Mutter Regine Kunsthändlerin und Sachverständige für ostasiatische Kunst. Seine ersten fünf Lebensjahre verbrachte Willemsen oberhalb von Bonn auf Schloss Alfter, wo die Familie in einem Mietshaus zwischen Wald und Wiesen am Schlosshof wohnte. Noch während er das Helmholtz-Gymnasium in Bonn-Duisdorf besuchte, starb sein Vater an einer Krebserkrankung.

Nach seinem Abitur 1976 studierte Willemsen Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Bonn, Florenz, München und Wien. Das Studium finanzierte er sich durch verschiedenste Nebentätigkeiten. So arbeitete er als Nachtwächter, Reiseleiter und Museumswächter, bevor er eine Anstellung am Institut für Komparatistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München erhielt.

1984 promovierte Willemsen über die Literaturtheorie von Robert Musil, im selben Jahr erschien sein erstes Buch Das Existenzrecht der Dichtung. Fortan war er hauptberuflich als Autor tätig. 1991 begann er als Moderator der Interviewsendung „0137“ – für die er unter anderem den Grimme-Preis erhielt – seine Fernsehkarriere. Von 1994 bis 1998 war er Gastgeber der Talkshow „Willemsens Woche“ im ZDF. Zahlreiche weitere Einsätze als Moderator, Schauspieler und Regisseur folgten und machten ihn zu einer der bekanntesten deutschen Persönlichkeiten seiner Zeit.

Neben Büchern, darunter Deutschlandreise (2002), Die Enden der Welt (2010), Momentum (2012) und Das Hohe Haus (2014), schrieb er unter anderem für „Die Zeit“, die „Süddeutsche Zeitung“ und „Der Spiegel“. Willemsen war ein hochproduktiver Autor, dem die Genauigkeit seiner Betrachtungen und Beschreibungen besonders wichtig war. Literaturkritikerin Iris Radisch schrieb nach seinem Tod: „Er hat in dieser viel zu kurzen Zeit, die sein Leben war, mindestens sieben Leben gelebt. Er war überall gleichzeitig. 2000 Interviews, 36 Bücher, Hunderte von Fernsehsendungen, Rundfunkarbeiten, unzählige Hörbücher, Zeitungsartikel, Drehbücher, Regiearbeiten, Lehraufträge, Reden, Reisen. Alles im Übermaß. Woher er den unerschöpflichen Brennstoff für all das bezog, werden wir jetzt nie mehr erfahren.“

Das Zitat „Das Leben kann man nicht verlängern, aber wir können es verdichten.“ aus seinem Buch Momentum war ihm selbst ein Antrieb.

Am 7. Februar 2016 erlag Roger Willemsen im Alter von 60 Jahren in seinem Haus in Wentorf bei Hamburg einer Krebserkrankung.

Von Leonie Bauerdick

Die Enden der Welt

Der Himalaja

Im Nebel des Prithvi Highway

Heute waren die Wolken eine Sehenswürdigkeit, nicht geringer als die Berge. Von ihrem Anblick ruhte ich mich im Hotel aus, bis ich hungrig wurde. Da war es vier Uhr früh, alles schlief, und ich tappte durch die Gänge. Um halb sieben fiel mir eine Frau aus dem Aufzug entgegen, betäubt von Insektenspray. Ich hielt sie kurz im Arm. Glücklich fühlten wir uns in diesem Augenblick offenbar nur, weil das Insektenspray so stark war.

Dann die kleine Betriebsamkeit des frühen Morgens: das Plätschern des Wassers, der Strich des Reisigbesens auf dem Pflaster, das Ratschen der Rabenvögel, das Geräusch schlurfender Flipflops auf dem Stein. Der Alte, der vor sich hin monologisiert, die Sangeslust der Vögel in den Hecken. Der Hotelier tritt in den Garten und mustert seinen Besitz. Er sieht den Gast im Hof seinen Kaffee trinken. Vor die Wahl gestellt, zu schweigen oder einen sinnlosen kleinen Morgendialog zu eröffnen, entscheidet er sich, einen sinnlosen kleinen Morgendialog zu eröffnen:

„How are you today?“

Die Wahrheit ist: Der Klimakasten pustete einen feucht-schwülen Hauch über das Bett, und das mit einem Vibrationslärm, als wolle sich die Verkleidung lösen. Das Licht funzelte. Das Bett war mit einem zweimal gebrochenen Brett unterlegt, der Bettbezug mit einer Lumpensammlung gefüllt. Ungewaschen wie es war, zog allein das synthetische Laken Mücken in Schwärmen an. An Schlaf war nicht zu denken gewesen.

„Thank you, fine.“

(aus: Roger Willemsen: Die Enden der Welt. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010, S. 50f.)