Autor*innen-Porträts

Vilma Sturm

27. Oktober 1912 – 17. Februar 1995

Vilma Sturm
© Brigitte Friedrich / Süddeutsche Zeitung Photo

Autorin und Ort

Vilma Sturm wurde am 17. Oktober 1912 in Mönchengladbach geboren, das damals noch München-Gladbach hieß. Mit fünf Jahren zog sie mit ihren Eltern nach Berlin. Nach dem Abitur kehrte sie ins Rheinland zurück und begann ein Studium in Bonn. Dieses brach sie jedoch ab und besuchte stattdessen die Höhere Handelsschule in Rheydt. Nach einer weiteren Station in der Hauptstadt zog sie 1939 zurück nach Mönchengladbach und 1954 weiter nach Köln, wo sie 30 Jahre lang in einer Wohnung in der Merlostraße 22 im Agnesviertel lebte. Ab 1984 wohnt sie in Bonn-Röttgen. Dort starb sie im Frühjahr 1995, aber nicht ohne sich vorher in das Goldene Buch der Stadt einzutragen.

Leben und Werk

Anne Detrois, Luise Fels, Katharina, Antoine Stahl – all das war Vilma Sturm, die 1912 in Mönchengladbach geboren wurde. Die Journalistin, Schriftstellerin und Hörbuchautorin engagierte sich gegen Umweltzerstörung und den Rüstungswettlauf – hatte jedoch auch eine nationalsozialistische Vergangenheit.

Gemeinsam mit ihren Eltern zog sie 1917 von Mönchengladbach nach Berlin, wo sie 1932 ihr Abitur ablegte. Ihre Studienzeit war abwechslungsreich: Sie begann mit Spanisch, Französisch und Geschichte in Bonn, wechselte dann zu Jura und zur Philosophie, um schließlich Kunstgeschichte in München zu studieren. 1934 brach sie ihr Studium ab, da sie unter den Nationalsozialisten keine Zukunft darin sah, bei einem christlichen Verlag als Lektorin oder Redakteurin zu arbeiten, wie es ihr Wunsch war. Sie besuchte daraufhin die Höhere Handelsschule in Rheydt und arbeitete ab 1935 als Sekretärin in einem Volksbühnen-Verlag, als Buchhändlerin und Auslandskorrespondentin. 1936 ging sie zurück nach Berlin, wo sie journalistische Beiträge unter anderem für die „Kölnische Zeitung“ schrieb, gleichzeitig arbeitete sie an ersten eigenen literarischen Texten. Ab 1939 lebte sie wieder in Mönchengladbach. Während des Nationalsozialismus zeugten ihre Werke von einer ausgesprochen nationalistischen Haltung, so wurden darin etwa Deserteure abgewertet. Von 1942 bis 1944 war sie selbst aktiv im Zweiten Weltkrieg in verschiedenen besetzten Ländern als Truppenbetreuung der Wehrmacht tätig, darunter Luxemburg, Frankreich, Belgien und Lettland.

Nach Ende des NS-Regimes arbeitete sie über 30 Jahre lang als Journalistin, zunächst für den „Rheinischen Merkur“, ab 1959 als festes Mitglied der damaligen Kölner Redaktion der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Sie setzte sich für den christlichen Humanismus ein und engagierte sich politisch gegen die Umweltzerstörung sowie gegen den Krieg in Vietnam und für Menschen ohne festen Wohnsitz und ehemalige Gefängnisinsassen. Vilma Sturm war bekennende Katholikin, 1968 war sie Mitgründerin des „Politischen Nachtgebets“, eine Art politischer Gottesdienst, und forderte Geistliche auf, ebenfalls für den Frieden zu kämpfen. Anfang der 80er Jahre sammelte sie Unterschriften für den „Krefelder Appell“, der sich gegen den NATO-Doppelbeschluss richtete. Mit ihrem Engagement gehörte sie zu den wichtigsten Stimmen der Friedensbewegung in der Bundesrepublik. Ob und inwiefern sie sich zuvor von ihrer Haltung während der NS-Zeit öffentlich distanzierte, ist nicht bekannt.

Vilma Sturm verfasste neben ihrer journalistischen Tätigkeit Romane, Erzählungen, Reiseberichte, Gedichte und Hörspiele. Ab 1971 war sie Mitglied im deutschen PEN-Zentrum. 1968 erhielt sie den Rheinischen Kulturpreis, 1986 den Verdienstorden des Landes NRW, 1990 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. 1992 wurde sie mit einem Eintrag in das goldene Buch der Stadt Bonn geehrt, wo sie ab 1984 wohnte. Bereits einige Jahre zuvor, damals noch in Köln lebend, hatte sie zusammen mit ihrer Tochter Christiane einen Bildband über die Umgebung Bonns herausgebracht. Zu ihren Bekanntschaften in dieser Zeit gehörte auch Heinrich Böll, der sie liebevoll „heimatlose Katholikin“ nannte.

Vilma Sturm starb am 17. Februar 1995 in Bonn.

Von Nina Höhne

Unterwegs am Rhein, an der Mosel und anderswo (Auszug)

Später dann formten sich all diese Bilder zu einer tiefen und klaren Vorstellung von dem, was das ist: Rheinland – und was es heißt, diesem Raum nach Abkunft und Wesensart zuzugehören. Rheinland – wieviel mehr ist das noch als wallender Strom und Rebenhänge, als weinfrohe Dörfer und türmereiche Städte! Die Dörfer sind nicht mehr froh, und die Türme sind Schutt und Asche geworden, die Lieder sind verstummt, und die schönen, großen Menschen gehen gebeugt unter der Last ihrer Sorgen – aber wie sehne ich mich nach diesem durch Leid und Tränen geheiligten Boden! Meine Nachbarn hier, mit denen ich umgehe, was wissen die davon? Was wissen sie von den Herrlichkeiten, die diesem Boden entwuchsen – seien es die lebenumbrandeten Dome in den großen Städten, in deren Kleeblattchören sich einst die heilige Dreifaltigkeit selber spiegelte, oder die weltverlorenen Abteien in den Waldgebirgen; sei es die holde Hoheit der Madonnen Stefan Lochners oder die Kostbarkeit der silbergetriebenen Schreine, in denen die Gebeine der Heiligen bewahrt werden? Was wissen sie von der holdseligen Ursula mit ihren Jungrauen, von der gelehrten Hildegard und von Sankt Martin, den die Kinder mit Gesang und Fackeln verehren? Was von dem Mönch zu Heisterbach, dem die Ewigkeit wie ein Tag war? Vom heiligen Albertus, der im Traum den Bau des Domes entwarf, von dem Einsiedler Goar und von der Legion des Mauritius, die zu Trier, zu Bonn und Köln und zu Xanten gemartert ward? Was von den überschwänglichen Seelen der Mystiker, Eckehart, Gerhard Tersteegen und Thomas von Kempen, und was von dem großen Ruhm des Rhabanus Maurus, dessen Haus sich heute, nach fast tausend Jahren, die Leute ehrfürchtig noch zeigen als das älteste des Landes? Und was wissen sie von Kirmes und Schützenfest und Wallfahrten zu den Heiligtümern auf den Hügeln? Niemals sang ihnen die Lorelei auf ihrem Felsen; wie vermöchten sie den Schwanenritter zu erkennen, oder das Leuchten des Goldes, das der wilde Hagen einst in den Fluten versenkte? Ihnen würden die Grüfte stumm sein, die das Sterbliche der großen Kaiser bergen, ihnen würden die Steine nicht reden, zu Mainz oder Ingelheim, die die kaiserlichen Hochzeiten sahen, oder zu Frankfurt, wo zu den Kaiserkrönungen roter und weißer Wein aus dem Brunnen der Gerechtigkeit floß!

Für uns aber, da rauscht es, wenn auch den zertrümmerten Steinen die Sprache genommen ward, aus den Bäumen noch und aus den unzähligen Liedern und Gedichten von den Lippen der Jünglinge, die die blaue Blume suchten, und von den Lippen des Größten, in dessen Verse alle Anmut und Süße, alle Bewegtheit und traubenreifende Kraft dieser Landschaft für immer eingegangen ist.

Ich lass nun hier alles wie es ist. Ich lasse alles, erschüttert von der neuen Erkenntnis, daß die Heimat nicht da ist, wo ich Hab und Gut zusammentrug, sondern da, wo die Väter begraben liegen.

(aus: Vilma Sturm: Unterwegs am Rhein, an der Mosel und anderswo. Josef Knecht Verlag, Frankfurt am Main 1959, S. 12-14.)