Autor*innen-Porträts

Gustav Sack

28. Oktober 1885 – 5. Dezember 1916

Gustav Sack
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Autor und Ort

Gustav Sack kam am 28. Oktober in Schermbeck bei Wesel, nahe der niederländischen Grenze, zur Welt. Sein Geburtshaus stand an der heutigen Mittelstraße. Über die Stadt schrieb er in seinem Roman Ein verbummelter Student: „In einem flachen Kessel am Niederrhein liegt zwischen waldigen und heidigen Höhen ein Dorf, dessen Signum ein kurzer klobiger Backsteinkirchturm ist und dessen Hauptstraße kurz und gut die Mittelstraße heißt, und die wird zu beiden Seiten begleitet von der Kaffeestraße und Kirchstraße und ist mit ihnen verbunden durch mehrere Sträßlein, deren offizielle Namen man nur in dem heimatkundlichen Unterricht der Schule hört; später vergißt man sie und bezeichnet die Sträßlein nach irgendeinem irgendwie hervorstechenden Anwohner.“ Sack verbrachte die ersten zwanzig Jahre seines Lebens am Niederrhein. Er besuchte die Schermbecker Volksschule, an der auch seine Eltern lehrten, und machte das Abitur am Gymnasium in Wesel, dem heutigen Konrad-Duden-Gymnasium. Er verließ seine Heimatstadt, um zu studieren, kehrte jedoch immer wieder zurück.

Leben und Werk

Gustav Sack wurde 1885 in Schermbeck bei Wesel geboren und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der expressionistischen Literatur in der Frühphase des 20. Jahrhunderts. Seine Eltern waren beide Lehrer an der örtlichen Volksschule, die Sack später selbst besuchte. 1903 begann er eine Lehre als Apotheker, brach diese jedoch nach kurzer Zeit ab und machte stattdessen Abitur am Gymnasium in Wesel. Schon während seiner Schulzeit versuchte er sich an Gedichten und Dramenentwürfen. Aus dieser Zeit stammt auch seine einzige Veröffentlichung zu Lebzeiten, das Heldengedicht Olof, das unter dem Pseudonym Ernst Schahr – so der Name des Großvaters – 1904 in einem Berliner Verlag erschien. Die Eltern hatten die 150 Mark Druckkosten bezahlt. Die Fortsetzung Erwins Tod blieb hingegen unveröffentlicht. Beide Werke lassen den Einfluss von Byrons Childe Harolds Pilgerfahrt erkennen, ein Buch, das Sack bereits in jungen Jahren tief beeindruckte.

1906 zog Sack nach Greifswald, um dort Germanistik zu studieren. Nach drei Semestern brach er ab und wechselte zu den Naturwissenschaften mit Schwerpunkt Biologie nach Halle und später nach Münster, ohne aber das Studium abzuschließen. Während seiner Studienzeit arbeitete Sack an weiteren Werken, er schrieb unter anderem das Märchen Ein fehlender Reim und die Gedichtbände Stille Stunden und Ein Liebesleben.

1910 kehrte Sack für eine Weile in seinen Heimatort Schermbeck zurück, wo er die Arbeit an seinem Roman Ein verbummelter Student (ursprünglich unter dem Titel Der dunkelblaue Enzian verfasst) begann. Sein abgebrochenes Studium und ausschweifendes Leben mit Raufereien und Gelagen, die er auch in seinen Geschichten verarbeitete, sprachen sich im Dorf herum und ließen ihn in keinem positiven Licht erscheinen. Sack reagierte darauf in seinem Text und beschrieb die Bewohnerinnen und Bewohner wie folgt: „[Sie] aber neigen ein wenig zum Kretinismus und haben insbesondere vor ihren Nachbarn einen eigentümlichen hämischen und bissigen Witz voraus – sonst leben sie wie diese in den Tag und wissen nichts von der transzendenten Idealität der Zeit, der Verneinung des Willens, dem Pathos der Distanz und wären so glücklich wie ihr Vieh, wenn sie eben nicht den hämischen Witz hätten und so eingefleischte Ebenbilder ihres Gottes wären“. Der fertige Roman wurde von verschiedenen Verlagen abgelehnt, was Sack in eine emotionale Krise stürzte.

Sack fasste den Entschluss auszuwandern, als Ziel schwebte ihm Konstantinopel vor. Doch die Gelegenheit dazu bekam er nie, da er gezwungen war, seinen Wehrdienst anzutreten. Diesen leistete er zwischen 1911 und 1912 in Rostock, wo er den Schriftsteller Hans Harbeck kennenlernte – den Bruder seiner späteren Frau Paula. Die erneute Rückkehr nach Schermbeck nutzte Sack, um an einem autobiografischen Roman (1919 unter dem Titel Ein Namenloser im S. Fischer Verlag erschienen) zu schreiben. Darüber hinaus überarbeitete er seinen Erstling und begann die Arbeit an einem dritten Roman, Im Hochgebirge, der nach seinem Tod unter dem Titel Paralyse bekannt wurde. 

1913 ging er unter dem Vorwand, sein Studium beenden zu wollen, nach München und versuchte dort, als freier Schriftsteller Fuß zu fassen. Er verfasste zahlreiche Gedichte, Essays und Novellen, letztere vorwiegend für Zeitungen. Doch blieb ihm die Anerkennung für seine Arbeit verwehrt, was ihn in eine erneute Sinnkrise stürzte. Deprimiert von der erfolglosen Suche nach einem Verlag und von Geldsorgen geplagt, zog es Sack in die Schweiz. Dort hielt er sich auf, als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach. Verweigerte sich Sack anfangs noch dem Kriegsdienst, trieb ihn die finanzielle Not letztlich dazu, im September 1914 nach Deutschland zurückzukehren, wo er prompt eingezogen und an die Westfront geschickt wurde. 

Er diente zunächst in Somme im Norden Frankreichs. In dieser Zeit entstanden novellistische Skizzen wie Aus dem Tagebuch eines Refraktairs oder Hinter der Front. Im November 1916 wurde Sack an die rumänische Front verlegt. Dort fiel er am 5. Dezember 1916 bei Finta Mare nordwestlich von Bukarest, wo er auch begraben ist. Zurück blieb eine begonnene Materialsammlung für sein letztes Werk: In Ketten durch Rumänien.

Dem Einsatz seiner Frau Paula, die er in seiner Zeit in München kennengelernt hatte, verdankt Sack seinen Nachruhm. Kurz nach seinem Tod wurde sein Werk erstmals in Gänze gedruckt und von so unterschiedlichen Autoren wie Erich Maria Remarque, Ernst Jünger, Thomas Mann und Theodor W. Adorno gelobt. Sein Nachlass befindet sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach.

Von Miriam Betge

Ein verbummelter Student (Romanauszug)

In einem flachen Kessel am Niederrhein liegt zwischen waldigen und heidigen Höhen ein Dorf, dessen Signum ein kurzer klobiger Backsteinkirchturm ist und dessen Hauptstraße kurz und gut die Mittelstraße heißt, und die wird zu beiden Seiten begleitet von der Kaffeestraße und Kirchstraße und ist mit ihnen verbunden durch mehrere Sträßlein, deren offizielle Namen man nur in dem heimatkundlichen Unterricht der Schule hört; später vergißt man sie und bezeichnet die Sträßlein nach irgendeinem irgendwie hervorstechenden Anwohner.

Die Bewohner aber neigen ein wenig zum Kretinismus und haben insbesondere vor ihren Nachbarn einen eigentümlichen hämischen und bissigen Witz voraus – sonst leben sie wie diese in den Tag und wissen nichts von der transzendenten Idealität der Zeit, der Verneinung des Willens, dem Pathos der Distanz und wären so  glücklich wie ihr Vieh, wenn sie eben nicht den hämischen Witz hätten und so eingefleischte Ebenbilder ihres Gottes wären.

In diesem Dorfe ging gerade der Küster zur Kirche, um das Abendläuten zu besorgen, als ihm Erich Schmidt begegnete, der seinen Abendspaziergang begann. »Erich Schmidt«, das hieß für seine Mitbürger soviel wie ein älterer Student, der sich nach seiner, höchst wahrscheinlich doch lustigen, Studienzeit bei seinen Eltern aufhielt, wie er sagte, um sich für sein Examen vorzubereiten, – es war aber schwer, an ihn heranzukommen, und deshalb war er ihnen nur ein dankbares Objekt für ihren schiefmäuligen Witz.

Sein Gang war hastig und unruhig, besonders wenn es seinen Abendspaziergang galt: denn der begann erst draußen mit dem »Tiefen Weg«, und er mußte zusehen, schnell aus dem Drückenden, Engen, Warmen, Hämischen, Vorwurfsvollen und Ungefälligen – daß er aus alle dem herauskam.

(aus: Gustav Sack: Ein verbummelter Student. S. Fischer Verlag, Berlin 1917.)