Autor*innen-Porträts

Hans Mayer

19. März 1907 in Köln – 19. Mai 2001

Hans Mayer
© picture alliance / United Archives kpa

Autor und Ort

Hans Mayer wurde 1907 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Köln geboren und verbrachte seine Schulzeit am Schillergymnasium, das damals im Stadtteil Ehrenfeld beheimatet war. Er studierte und promovierte an der juristischen Fakultät in Köln, konnte seinen Beruf letztlich aber nicht ausüben, da er als Jude und Marxist nach 1933 von den Nationalsozialisten mit einem Arbeitsverbot belegt wurde. Noch im selben Jahr floh er nach Frankreich. Vor dem Haus seiner Großmutter in Köln Neu-Ehrenfeld in der Siemensstraße 60,
nicht weit entfernt von der letzten Wohnadresse Hans Mayers am jetzigen Ehrenfeldgürtel 171, liegen Stolpersteine für seine Eltern Rudolf und Ida Mayer sowie weitere Familienmitglieder, die deportiert und ermordet wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er nach Deutschland zurück. Über seinen ersten Besuch in Köln schrieb er in seinen Memoiren: „Im Jahre 1947 stand ich in Köln vor dem schönen Familienhaus meiner Großmutter und meiner vertriebenen Eltern. Die entsetzten und feindseligen Blicke der damaligen Bewohner, als ich mich als Erbe zu erkennen gab. Ich habe dann diese Erbschaft nicht antreten wollen. Ein Widerruf des Widerrufs war nicht möglich.“

Leben und Werk

Hans Mayer kam am 19. März 1907 in Köln zur Welt. Als Verfechter des Sozialismus und Marxismus verstand er sich Zeit seines Lebens als politischer Schreiber, der besonders gesellschaftliche Außenseiter ins Zentrum seiner Arbeit rückte. Seine politische Gesinnung, jüdische Abstammung und Homosexualität machten ihn bereits in jungen Jahren zur Zielscheibe der Nationalsozialisten und veranlassten ihn 1933, Deutschland zu verlassen. Seine Eltern wurden im KZ Auschwitz ermordet.

Nach dem Abitur am Gymnasium Köln-Ehrenfeld studierte Mayer Jura, Geschichte und Musik in Köln, Bonn und Berlin, 1931 wurde er an der Universität zu Köln mit der Dissertation Die Krise der deutschen Staatslehre und die Staatsauffassung promoviert. Als Mitglied der SPD war Mayer ab 1930 für die Herausgabe der marxistischen Arbeiterzeitung „Der rote Kämpfer“ mitverantwortlich. Ende 1931 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, aus der er ein Jahr später wegen seiner Nähe zur Kommunistische Partei-Opposition, einer Abspaltung der KPD, wieder ausgeschlossen wurde. 

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 floh Mayer zunächst nach Frankreich. Dort war er am Max-Horkheimer-Institut für Sozialforschung tätig. Anschließend ging er in die Schweiz, wo er sich der Literaturwissenschaft zuwandte. In Genf begann er mit der Arbeit an seinem umfassenden Werk über Georg Büchner, das schließlich 1946 im Wiesbadener Limes Verlag erschien. Diese Arbeit wurde von der Universität Leipzig, wo Mayer 1948 eine Professur annahm, als Habilitationsschrift anerkannt. In den folgenden Jahren wurde er zum einflussreichen Kritiker der neueren deutschen Literatur, was ihm auch Reisen nach Westdeutschland ermöglichte, etwa zu den Treffen der Gruppe 47, wo er ein gern gesehener Gast war. Aufgrund zunehmender Spannungen zwischen ihm und der SED-Elite gab Mayer den Lehrstuhl in Leipzig 1963 auf und wurde zwei Jahre später Professor für deutsche Literatur und Sprache an der TU Hannover. Später arbeitete Mayer als Honorarprofessor in Tübingen.

Mit über 70 Publikationen, Hunderten Zeitschriftenbeiträgen und zahlreichen Vor- und Nachworten gehörte Hans Mayer zu den wichtigsten Literaturwissenschaftlern und -kritikern des 20. Jahrhunderts. In seinen Abhandlungen schrieb er über Autoren wie Thomas Mann, Ernst Bloch, James Joyce und Bertolt Brecht, zu letzterem pflegte er auch persönlichen Kontakt. Zu seinen wichtigsten Werken gehören neben Georg Büchner und seine Zeit die 1975 erschienene Untersuchung Außenseiter, in der er sich mit der literarischen Darstellung häufig diskriminierter Gruppen beschäftigt, oder der Band DerTurm von Babel (1991), ein Nachruf auf die DDR.

Hans Mayer wurde mit zahlreichen Ehrungen und Preisen bedacht. Er ist Ehrenbürger der Stadt Köln, Träger des großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland und wurde 1965 mit dem Deutschen Kritikerpreis und 1988 mit dem Ernst-Bloch-Preis ausgezeichnet.

Hans Mayer starb am 19. Mai 2001 in Tübingen im Alter von 94 Jahren. Sein Grab befindet sich in Berlin auf dem Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden.

Von Dominik Kruhl

Ein Deutscher auf Widerruf

Erst seit dem Jahre 1915 besitze ich Erinnerungen, die mehr sind als punktuelle Lichtbilder. Von nun an werden Zeitabläufe markiert, dazu Kausalitäten. Für mich hat der Weltkrieg als begriffene Wirklichkeit erst im Jahre 1915 begonnen: mit dem Ausrücken meines Vaters in den Krieg. Ich war damals acht Jahre alt und in der zweiten „Vorschulklasse“. Was damit gesagt war, soll noch erläutert werden. Der Vater war 1914 zurückgestellt worden. Die Sehschärfe seines linken Auges war sehr gering. Er hat mir nur eine entsprechende Schwäche des rechten Auges vererbt. Immerhin lernte ich bereits im ersten Kriegsjahr die Bedeutung so letaler Begriffe wie: kv, gv und du. Also: kriegsverwendungsfähig, garnisonverwendungsfähig, dauernd untauglich. Der Vater, ein Mann damals Mitte der Dreißig, war gv.

Die Marneschlacht war verloren: der hybride Jubel der Spätsommertage von 1914 wurde abgelöst vom geheimen Zweifel. Wofür soll hier gestorben werden? Meinem Vater ist beim Ausrücken anzumerken, daß er sich weder etwas vormacht, noch den Drückeberger spielen möchte. Man hat jenen, die abmarschieren mit unbekanntem Ziel, das Singen verordnet. „Die Vöglein im Walde, die sangen sangen sangen so wunder-wunderschön.“ Der Vater blickt zu uns herüber. Ich glaube nicht, daß er gesungen hat. Ich halte die Hand der Mutter, wir winken und gehen vorerst noch mit: im gleichen Schritt und Tritt. Dann der Auszug aus dem Kasernentor, wir bleiben zurück. In der Heimat, in der Heimat, da gibts ein Widersehn. 

(aus: Hans Mayer: Ein Deutscher auf Widerruf. Bd. 1: Erinnerungen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1992, S. 11.)