Autor*innen-Porträts

John le Carré

19. Oktober 1931 – 12. Dezember 2020

Johne le Carré
© picture-alliance dpa / Christian Charisius

Autor und Ort

John le Carré arbeitete zwischen 1961 und 1963 in Bonn, offiziell als zweiter Botschaftsrat, inoffiziell als Agent des britischen Geheimdienstes MI6. Die Erfahrungen aus dieser Zeit zum Ende der Adenauer-Ära flossen in seinen 1968 erschienenen Roman Eine kleine Stadt in Deutschland ein. Die damalige Bundeshauptstadt beschrieb er darin folgendermaßen: „Bonn glich einer Stadt auf dem Balkan, schmutzig und geheimnisvoll, überzogen mit Straßenbahndrähten. Bonn glich einem dunklen Haus, in dem jemand gestorben war, einem mit katholischem Schwarz drapierten und von Polizisten bewachten Haus.“ Das Botschaftsgebäude, in dem John le Carré ein und aus ging, befand sich in der Friedrich-Ebert-Allee 77, 2004 wurde es abgerissen.

Leben und Werk

Der britische Schriftsteller John le Carré wurde am 19. Oktober 1931 als David Cornwell im englischen Poole geboren. Er gehört weltweit zu den bekanntesten und erfolgreichsten Autoren – insbesondere von Geheimdienst- und Spionageromanen. Seine Bücher wurden über 60 Millionen Mal verkauft. 

Als le Carré fünf Jahre alt war, verließ seine Mutter Olive die Familie. Sein Vater Ronald war ein Hochstapler und Betrüger und verbrachte unter anderem wegen Versicherungsbetrugs einige Jahre im Gefängnis. Nachdem le Carré seine belastete Kindheit in einem englischen Internat verbringen musste, ging er trotz fehlender Deutschkenntnisse im Alter von sechzehn Jahren in die Schweiz, um dort an der Universität Bern Germanistik zu studieren. 

Die berufliche Entscheidung le Carrés, 1950 dem Nachrichtendienst der britischen Armee in Österreich beizutreten, sollte maßgeblichen Einfluss auf seinen zukünftigen schriftstellerischen Werdegang nehmen. Seine Aufgabe beim Nachrichtendienst bestand zunächst darin, Geflüchtete aus dem Ostblock zu vernehmen. 1952 kehrte le Carré nach England zurück und machte am Lincoln Collage der University of Oxford seinen Abschluss mit Auszeichnung. Dort spionierte er für den Inlandsgeheimdienst linke Gruppierungen aus. Nach einer kurzen Beschäftigung als Dozent und der Hochzeit mit Alison Sharp wurde le Carré MI5-Agent und wechselte 1960 zum MI6, dem britischen Auslandsgeheimdienst. Die Arbeit für den MI6 führte ihn nach Deutschland – nach Bonn und Berlin.

Der Bau der Berliner Mauer, den er vor Ort live mitverfolgen konnte, lieferte ihm den passenden Stoff für seinen dritten Roman Der Spion, der aus der Kälte kam (1964). Der internationale Erfolg des Romans ermöglichte es le Carré 1964, den Dienst beim MI6 zu quittieren und sich ausschließlich dem Schreiben zu widmen. Fortan verfasste er unter seinem Künstlernamen John le Carré zahlreiche Spionageromane, in denen besonders der Kalte Krieg ein wiederkehrendes Thema ist.

Auch Bonn war ein zentraler Spielort in le Carrés Romanen. Sein fünfter Roman Eine kleine Stadt in Deutschland (1968) handelt von der Suche nach einem verschwundenen Mitarbeiter der britischen Botschaft in Bonn. Seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach verfilmt. Le Carré erhielt zudem etliche Auszeichnungen, auch in Deutschland, darunter die Goethe-Medaille, die vom Goethe-Institut für Verdienste um die Pflege der deutschen Sprache im Ausland und zur Förderung der internationalen kulturellen Zusammenarbeit verliehen wird.

Im Alter von 89 Jahren verstarb John le Carré am 12. Dezember 2020 an den Folgen einer Lungenentzündung in Cornwall. Ein Jahr zuvor hatte er die irische Staatsangehörigkeit angenommen, um auch nach dem Brexit EU-Bürger zu bleiben. 

Von Leonie Bauerdick

Eine kleine Stadt in Deutschland (1968)

Ein Polizist in Stiefeln stampfte auf, schnitt eine Grimasse und machte dabei einen faulen Witz über das Wetter; ein anderer rief ihn an, aber eher beiläufig; und einer sagte „Guten Abend“, aber er antwortete nicht, denn er hatte nichts im Sinn als die untersetzte Gestalt, die hundert Schritte vor ihm eilig die weite Allee hinuntertrabte, jetzt im Schatten einer schwarzen Fahne verschwindend, gleich darauf vom talgigen Licht der Straßenlampe wieder hervorgezogen.

Weder hatte die Dunkelheit aus ihrem Kommen noch der graue Tag aus seinem Gehen eine Zeremonie gemacht, aber die Nacht war frisch und roch nach Winter. Während der meisten Monate ist Bonn kein Ort für Jahreszeiten; Klima gibt’s nur zu Hause, ein Klima für Kopfschmerzen, warm und flau wie in Flaschen abgefülltes Wasser, ein Klima des Wartens, des bitteren Geschmacks, der vom langsam fließen Strom aufsteigt, des mühseligen und zaghaften Wachstums, und die Luft ist ein erschöpfter Wind, der auf die Ebene niederfällt, und wenn die Dämmerung kommt, ist sie nichts als ein Dunkeln des Nebels vom Tage, ein Entflammen der Leuchtröhren in den lärmerfüllten Straßen. Aber in dieser Frühlingsnacht war der Winter wieder zu Besuch gekommen, war er unter dem Schutz der räuberischen Dunkelheit das Rheintal hinaufgeschlüpft und trieb die beiden zur Eile an, schmerzte sie mit seiner unerwarteten Kälte. Dem kleinen Mann, der sich mühte voranzukommen, liefen vor Kälte die Tränen aus den Augen.

(zitiert nach: John le Carré: Eine kleine Stadt in Deutschland. Ungekürzte Ausgabe, aus dem Englischen von Dietrich Schlegel und Walther Puchwein, Deutscher Taschenbuchverlag, München 1997, S. 5f.)