Leben und Werk
Marie Louise Fischer war eine der kommerziell erfolgreichsten deutschen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, wurde jedoch als reine Unterhaltungsautorin abgestempelt und ist heute weitgehend vergessen. Sie wurde am 28. Oktober 1922 als jüngstes von drei Kindern in Düsseldorf geboren. Nach dem Abitur studierte sie Germanistik, Theaterwissenschaften, Kunstgeschichte und Psychologie in Köln, München und Prag, wo sie bis zum Kriegsende als Dramaturgin für die nationalsozialistische Filmproduktionsfirma Prag-Film arbeitete. Sie wurde 1945 interniert und musste in der Tschechoslowakei über eineinhalb Jahre in der Landwirtschaft Zwangsarbeit leisten. 1947 kehrte sie über Ost-Berlin nach Düsseldorf zurück. Nach ihrer Heirat 1956 mit dem österreichischen Schriftsteller Hans Gustl Kernmayr lebte sie im oberbayerischen Samerberg.
Ihren ersten Kriminalroman Zerfetzte Segel veröffentlichte Fischer 1953. Es folgten in den nächsten Jahrzehnten mehr als 100 Romane – vorwiegend Liebesromane, aber auch Kriminalromane, historische Romane und Arztromane – sowie über 45 Jugend- und Sachbücher, teils unter Verwendung von Pseudonymen wie A.G. Miller, Dr. Christoph Vollmer, Kirsten Lindstroem und Katja Holm. Ihr letzter Roman Einmal und nie wieder erschien 1999. Daneben gab sie von 1964 bis 1969 in der Jugendzeitschrift „Bravo“, unter Pseudonym und gemeinsam mit ihrem Mann, Heranwachsenden Ratschläge in Liebesangelegenheiten, wobei diese – wie auch ihre Bücher – den Wertmaßstäben der damaligen Zeit entsprachen.
Ihre Bücher waren äußerst erfolgreich, allein in Deutschland wurden sie über 70 Millionen Mal verkauft. Ihre Werke wurden außerdem in 23 Sprachen übersetzt, einige davon auch verfilmt. Obwohl Marie Louise Fischer damit eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Autorinnen des 20. Jahrhunderts ist, werden sie und ihr Werk in den literaturgeschichtlichen Darstellungen vollständig ignoriert. Das schien sie jedoch nicht zu stören: „Wahrscheinlich bin ich nicht zur Literatin […] berufen. Ich mache mir darüber gar nichts vor, schäme mich dessen aber auch keineswegs, denn ich weiß, wie schwer es ist, einer großen Zahl von Menschen wirklich gute Unterhaltung zu bieten.“
Im Alter von 80 Jahren entschloss sich Marie Louise Fischer, mit dem Schreiben aufzuhören. Sie starb am 2. April 2005 in Prien am Chiemsee.
Von Klaus Peter Hommes
Das Dragonerhaus (Romanauszug)
Sie ließen die Haustür weit offen und tasteten sich in dem einfallenden Licht im Hausgang vorwärts, Peter öffnete die Tür zur Linken und fand ein Fenster. Er stieß die Läden auf. Die Stube war groß, aber niedrig, an der Decke waren uralte, geschnitzte Balken sichtbar, und die Bohlen des Fußbodens ausgetreten. Obwohl der Raum so lange unbewohnt gewesen war, hatte er doch eine deutlich fühlbare, wenn auch nicht leicht zu deutende Atmosphäre. Es gab sogar Möbel: einen schweren Eichentisch mit einer dicken, weißgescheuerten quadratischen Platte und einer Ausziehschublade, Stühle mit gedrechselten Lehnen standen an der Wand.
„Das ist doch gar nicht schlecht“, sagte Anselm von Deinharting.
„Nein“, stimmte Peter zu, „wenn das Beihaus nur halb so gut erhalten ist …“
„Geduld, das schauen wir uns auch noch an.“ […]
Unvermittelt verdunkelte sich der Raum, und Anselm von Deinharting blickte zum Fenster. Sekundenlang glaubte er an eine Vision.
Lucilles Kopf war im geöffneten Fenster erschienen.
(aus: Marie Louise Fischer: Das Dragonerhaus. Goldmann, München 1978, S. 141f.)