Autor*innen-Porträts

Anne Dorn

26. November 1925 – 8. Februar 2017

Anne Dorn
© Udo Weier via Wiki Commons

Autorin und Ort

Anne Dorn zog 1969, nach der Trennung von ihrem zweiten Ehmann, mit ihren vier Kindern von Kleve nach Köln. Zunächst wohnte sie am Fröbelplatz, später in der Weißenburgstraße 19. Dort lebte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2017. Sie war unter anderem mit Heinrich Böll befreundet, der sie auch finanziell unterstützte. In ihren Werken finden sich immer wieder Bezüge zu ihrer Wohnung in der Weißenburgstraße und zum Agnesviertel. Der Autorenfilm Eines Tages brachte ich meinen Sohn zum Reden, 1973 im WDR ausgestrahlt, wurde teilweise in ihrer Wohnung gedreht. Anne Dorn starb 2017 in Köln und wurde auf dem Melaten-Friedhof beigesetzt.

Leben und Werk

Anne Dorn (eigentlich Anna Christa Schlegel) kam am 26. November 1925 als mittleres von drei Geschwistern zur Welt. Als Kind der goldenen Zwanziger wuchs sie im sächsischen Wachau nahe Dresden auf. Ihre Mutter war als Hausfrau tätig, der Vater arbeitete im Sachsenwerk, verlor 1931 im Zuge der Weltwirtschaftskrise jedoch seine Anstellung.

Nach dem Besuch der Dorfschule in Wachau und dem Realgymnasium in Radeberg absolvierte Anne Dorn ein Volontariat bei der Tageszeitung „Dresdner Neueste Nachrichten“. Parallel zu ihrer Ausbildung belegte sie Abendkurse an der staatlichen Kunstakademie. Mit 18 Jahren kam sie als „Pflichtjahrmädchen“ ins österreichische Salzkammergut, von wo aus sie nach Ende des Zweiten Weltkrieges ins ostwestfälische Herford in die britische Besatzungszone gelangte, während ihre Eltern sich in der sowjetischen Zone befanden. Über Lippe, Detmold und Kleve kam Dorn 1969, inzwischen zweimal geschieden, mit ihren vier Kindern nach Köln. Nach beruflichen Stationen als Kostümbildnerin an verschiedenen Theatern nahm sie hier ihre schriftstellerische Tätigkeit unter dem von ihr selbst gewählten Pseudonym auf.

Anne Dorn schrieb zahlreiche Hörspiele und Drehbücher, vor allem für den WDR, bei einigen Produktionen führte sie selbst Regie. Ihr künstlerisches Schaffen war von den dramatischen Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs sowie der anschließenden Teilung Deutschlands und der damit verbundenen Trennung ihrer Familie geprägt. In ihrem ersten Roman hüben wie drüben, der nach der Wiedervereinigung 1991 im Leipziger Forum Verlag erschien, verarbeitete sie diese traumatischen Erlebnisse.

Neben Hörspielen und Drehbüchern verfasste Dorn Romane, Erzählungen, Dramen, Essays und widmete sich auch der Lyrik. Nach regelmäßigen Veröffentlichungen ihrer Gedichte im „Jahrbuch der Lyrik“ erschien 2011 ihr erster Gedichtband Wetterleuchten. In mehreren Essays schrieb Dorn über den Einsturz des Kölner Stadtarchivs im März 2009, im Zuge dessen ihr Vorlass nahezu vollständig zerstört wurde. Ihr letzter Roman, Spiegelungen, erschien 2010 im Dittrich Verlag, der auch weitere Werke von ihr neu aufgelegt hat.

Dorn war Mitglied des Verbandes Deutscher Schriftsteller, des PEN-Zentrums Deutschland und der GEDOK. Sie erhielt mehrere Stipendien und war 1985 Ehrengast in der Villa Massimo. Sie wurde 1973 mit dem Förderpreis der Stadt Köln, 1974 dem Journalistenpreis und 2007 mit der Kester-Hauesler-Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung ausgezeichnet.

Am 8. Februar 2017 verstarb Anne Dorn im Alter von 91 Jahren. Sie wurde auf dem Melaten-Friedhof in Köln beigesetzt.

Von Dominik Kruhl

Hüben und drüben (Romanauszug)

In einer sächsischen Kleinstadt östlich von Dresden sind zwei unterwegs. Sie laufen vor sich hin. Sie lassen sich gehen. Sie schauen weder nach links noch nach rechts. Für nichts haben sie Augen oder Ohren. Ihre Gedanken treten auf der Stelle.

Sie sind auf dem Weg zum Steingutwerk. Dicht neben Petra stolpert Wibke. Der Fußweg der Schumannstraße ist breit, trotzdem hält das Mädchen sich dich an seine Mutter. Es zeigt sich, dass Wibke noch ein Kind ist, – über Nacht ist ihr Mund wieder weich geworden und ihre Augen staunen.

Wibke fröstelt. Sie hat in der Flurgarderobe irgendetwas vom Haken genommen und die Wetterjacke erwischt, an der ein Knopf fehlt. Auch Petra trägt einen alten Wollrock, dessen Saum an einer Stelle steif absteht, weil der Stoff von Firnis durchtränkt ist.

Gestern hatte Petra vor, die abgeschliffenen Stellen der Fensterbänke zu grundieren. Bis jetzt ist sie kaum aus den Kleidern gekommen. Beide haben vergessen, dass man sich ordentlich anzieht, wenn man auf die Straße geht.

Sie werden noch mehr vergessen: das bestellte Fleisch für den Sonntag beim Fleischer und die Fortsetzung der Serie „Aber Vati“ heute abend im Fernsehen. Ihre Gewohnheiten sind abgeschafft. Es ist heute ein unendlicher Tag, dessen Anfang im Gestern liegt, und der die Zeit, in der die Betriebe schließen, ein zweites Mal erreicht.

(aus: Anne Dorn: Hüben und drüben. Forum Verlag Leipzig 1991; überarbeitete Neuauflage, Dittrich Verlag in der Velbrück GmbH Verlage, Weilerswist-Metternich 2013, S.9f.)