Leben und Werk
Schon während des Ersten Weltkrieges veröffentlichte Curt Corrinth erste Gedichtbände. In den folgenden Jahren veröffentlichte er vor allem Theaterstücke und, die von den meisten Kritikern jedoch negativ beurteilt wurden. Das lag vor allem an Corrinths Stilistik, die oft als unzureichend bemängelt wurde.
Aber auch die Inhalte waren umstrittenen, widersprachen sie nicht selten bürgerlichen Wertvorstellungen. So geht es in dem Roman Potsdamer Platz von 1919 um einen jungen Mann, der aus der Provinz nach Berlin kommt und dort seinen Geschlechtstrieb exzessiv auslebt. Der Roman – Untertitel: Ekstatische Visionen – wurde gleich nach Erscheinen wegen des Vorwurfs der Pornografie verboten. Die auf 500 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe ist mit zehn Lithografien von Paul Klee ausgestattet und daher bis heute von antiquarischem Interesse.
Einen politischen Nachhall erzielte Corrinth mit dem Theaterstück Trojaner von 1929, das mehrere Umarbeitungen erfuhr, auch in Romanform. Die letzte von 1956 wurde in der DDR sogar verfilmt. In dem Stück verbünden sich Schüler gegen ihren Lehrer, weil dieser einen jüdischen Mitschüler quält. Es ist ein deutliches Plädoyer gegen Antisemitismus.
Curt Corrinth wurde 1894 in Lennep geboren, das heute zu Remscheid gehört, und verbrachte seine Jugend in Barmen. Zwei Jahre, nachdem er 1913 ein Studium der Philosophie und Literaturgeschichte in Bonn aufgenommen hatte, meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, der ihn aber bald zum Kriegsgegner werden ließ. Nach der Genesung von einer im Frankreichfeldzug erlittenen Verwundung und der Entlassung aus dem Militär lebte und arbeitete er ab 1917 als Redakteur in Berlin. In der Nazi-Zeit durften seine Theaterstücke nicht mehr aufgeführt werden. So arbeitete er sein Trojaner-Stück zu einem regimekonformen Roman um. Ein Kriminalroman von ihm wurde 1943 verfilmt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete Corrinth im rheinischen Leichlingen eine Buchhandlung. Er siedelte jedoch 1955 nach Ost-Berlin über, vermutlich, weil dort Freunde und Bekannte aus der Zeit vor dem Krieg lebten und er sich bessere Bedingungen als Schriftsteller erhoffte. 1960 verstarb Corrinth in Berlin.
Von Ernst Müller
Potsdamer Platz (Romanauszug, 1919)
Frühlingstage schwangen fliederweiß wie diese, und Abend ertrank schon sanft gleitend in besternter Nacht – hoch, hoch und blau und silbern diademte Himmel – als müdgeraster D-Zug aufseufzend verebbte im tosenden Hallenhafen des Potsdamer Bahnhofs. Glieder spannten Muskeln, neue Lebenskräfte aus der Gewissheit endlichen Landens gewinnend. Koffer schwangen rufend sich Gepäckträgern entgegen. Unendliche Verwirrung durchtorkelte augenblickslang hunderte von Lebewesen, die geöffneten Wagentüren hastend entquollen. Dann sänftigte Toben bald hin zu geordneter Harmonie. Gebändigter Strom floss vielgliedrig der Sperre, den Portalen zu. Hans Termaden: noch stand er, unsicher und die Provinz, die an seinem Willen fühlbar klebte, still verfluchend, als, anwerfend sich schier verzweiflungsvoll gegen den drängenden Strom, ein Grünlivrierter in sein Gesichtsfeld bog, dessen Schirmmütze er hausdienerhafte Zugehörigkeit zu dem Hotel Adlon entlas, jener bergenden Stätte, da er, weisem Rate reichshauptstadtkennender Freunde folgend, längst schon telegrafisch Zimmer und Bett seinem reisematten Leib bestellt hatte.
(zitiert nach: Curt Corrinth: Potsdamer Platz. Walde + Graf Verlag, Berlin 2016, S. 6f.)