Leben und Werk
Der „Kohlen-Goethe“ wurde Willy Bartock in seiner Duisburger Heimat ebenso liebevoll wie anerkennend genannt. Denn er hatte auf der Zeche gearbeitet, machte die harte Wirklichkeit der Bergleute zu seinem literarischen Thema, schrieb in ihrer kraftvollen Sprache und erwies sich gerade dadurch als sensibler Dichter und Schriftsteller. Seit den frühen 1950er Jahren veröffentliche er Bücher mit Gedichten, Erzählungen und kleinen Theaterstücken.
Geboren wurde Bartock 1915 in Hamborn. Sein Vater war Grubenmechaniker, seine Mutter engagierte sich für die KPD im Stadtrat. Das Elternhaus war also dem Arbeitermilieu eng verbunden und hat Bartock zweifellos geprägt; insbesondere da beide Eltern als Gegner des Hitler-Regimes in NS-Haft umgekommen sind. Der Sohn machte eine kaufmännische Lehre und arbeitete anschließend ebenfalls bei einer Zechengesellschaft. In Zeitungen konnte er schon in den 1930er Jahren erste Texte veröffentlichen. Den Krieg erlebte er als Soldat. Nach dessen Ende arbeitete er in verschiedenen Funktionen wieder auf der Zeche, bis er 1950 die Abteilung für kulturelle Betreuung der Bergleute als Leiter übernahm. Hier war der junge Mann, der sich als Schriftsteller verstand, am geeigneten Platz.
Bartock war darüber hinaus Mitbegründer der legendären Gruppe 61. Darin fanden sich Schriftstellerinnen und Schriftsteller zusammen, die selbst aus der Arbeiterschaft stammten oder sich dieser verbunden fühlten. Ihr prominentestes Mitglied war Max von der Grün, der mit seinen gesellschaftskritischen Romanen aus der Welt des Arbeitermilieus den größten bundesweiten Erfolg verzeichnete. Mitbegründer war ebenfalls der Dortmunder Bibliotheksdirektor Fritz Hüser, nach dem heute das Fritz-Hüser-Institut in Dortmund benannt ist, das Literatur der Arbeitswelt sammelt und erschließt. Auch der Nachlass von Willy Bartock wird dort verwahrt.
Trotz seiner Verbundenheit mit der Welt der Knappen wäre es zu eng gefasst, Willy Bartock ausschließlich als Arbeiterdichter zu verstehen. Er widmete sich auch anderen Themen, wie der rheinischen Landschaft und nicht zuletzt der zunehmenden Umweltzerstörung durch die Industriegesellschaft. Davon zeugt insbesondere sein berühmtestes Gedicht mit dem unscheinbaren Titel Niederrhein, das auf den ersten Blick eine landschaftliche Idylle erwarten lässt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Schon 1963, lange bevor es in Deutschland eine Umweltbewegung gab, prangert Bartock darin in seiner urtümlichen Sprache die lebensfeindlichen Auswüchse einer ungezügelten Industrie an.
Willy Bartock hat noch die Wandlung des Bewusstseins hin zum Umweltschutz erleben dürfen. 1995 ist er verstorben.
Von Ernst Müller
Niederrhein
Ich will dir
kein verlogenes Loblied mehr singen.
Dein geborgtes Sonnenlicht
soll mich nicht mehr blenden,
dein Reichtümer schleppender Buckel
mich nicht mehr bestechen.
Du bist weit gekommen. Du bist tief gesunken.
Du kamst von heiteren Weinhöhen
und sankst in dumpfe Niederung.
Die Dome und Burgen sind längst
entsetzt stehengeblieben.
Schwefelrauchend, rußrülpsend und ölkotzend
drängen sich Kamine, Waschtürme
und mannsdicke Rohre
an deinen betäubten Strand.
Den toten Fischen will ich einen Nachruf spenden,
die verreckten an dem Gebräu,
das du rechts und links deiner Straße
aus zahllosen Abwässerkanälen säufst.
Deine letzten Töchter, Ruhr, Emscher und Lippe, kriechen,
von dauernder Schändung ermüdet,
in dein schmutziges Altenbett.
Du wehrst dich nicht mehr,
Gewaltiger, Vergewaltigter, Vergifteter.
Deine Sommer stinken zum Himmel.
Deine Winter sind ätzend traurig.
Du benimmst mir den Atem.
Das Meer sträubt sich, dich zu empfangen.
Sogar in Selbstmörderkreisen
verlierst du jeden Kredit:
Wer – wenn er schon sterben will –
will in einer Kloake ersaufen . .
(aus: Willy Bartock: Niederrhein. In: Gruppe 61 [Hrsg.]: Neue Industriedichtung. Recklinghausen 1963.)