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Kolumne

„Die Zukunft der Menschheit hängt vom Willen der Maschinen ab“

Illustration von Nadine Redlich
Nadine Redlich

Unsere Kolumnistin Lisa Roy denkt über die Zukunft nach – und sieht sich in der Postapokalypse Geschichten erzählen.

– von Lisa Roy

Bildrechte: Nadine Redlich

Hier schreiben im Wechsel Autor*innen aus dem Rheinland über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind. Heute: Lisa Roy.

„Es war, wie einen Zipfel Zukunft in der Hand zu halten“, sagt mein Vater am Telefon. Ich stelle mir den Zipfel eines Bettlakens vor, stelle mir vor, wie ich ziehe, ziehe und das Laken schließlich über dem ganzen Bett ausbreite. Mein Vater erzählt von dem Chatbot, den er gestern ausprobiert hat, erzählt, dass er sich hat eine Geschichte schreiben lassen von einem Nilpferd, das in die große Stadt kommt und sich sehr wundert.

„Ich muss auflegen. Ich fahre gerade freihändig um den See und mein Lieblingscafé kommt rasant näher.“ Ich stelle ihn mir vor, bin sicher, dass er einhändig fährt. Die beste Geschichte ist wichtiger als die wahrste, da sind mein Vater und ich uns einig.

„Die Zukunft der Menschheit hängt vom Willen der Maschinen ab“, sagt ein Freund am Abend, nimmt noch einen Schluck, redet nun von den Honignoten im Wein, als wäre nichts dabei. Schlimmer noch, will ich sagen. Der Fortbestand der Schriftsteller hängt von den Maschinen ab.

Es ist nachts um drei, ich schließe die Augen, sehe mich durch die Straßen irren und schreien: Löscht die Apps, verhängt die Spiegel! Der Untergang naht, da ist die Zukunft, wer hat das Passwort! 

„ Eine Höhle. Genau. Zurück zum Anfang, zurück auf Los. “

Am nächsten Morgen renne ich aus dem Kinderzimmer meines Sohnes, das auch mein Büro ist, und zu meinem Mann, der gerade aus der Nachtschicht gekommen, ein Croissant in einen Cappuccino tunkt, erstaunlich entspannt aussieht, wenn man daran denkt, dass die Zukunft auf dem Spiel steht.

„Die Maschinen, die Maschinen werden mich ersetzen.“

Er schaut von seinem Handy auf, lächelt müde.

„Alles, was vom Autorenberuf bleiben wird, sind Performance und Personality. Verstehst du? Alles, wogegen ich mich verweigere, wird alles sein, das übrig ist!“

„Wie bitte?“, mein Mann legt sein Handy auf den Tisch, reicht mir ein Stück Croissant.

„In fünfzehn Jahren wird das Einzige, was ich dem Markt bieten kann, irgendein Live-Writing-Event sein, wo man dann gucken kann, wie früher Bücher geschrieben wurden, wie wenn in so einem mittelalterlichen Haus jemand vor deinen Augen Butter stampft. Ich werde in einem Glaskasten in der Lobby einer Unternehmensberatung sitzen und ein Happening sein, ein Schmuckeremit. Und sie werden gaffen und niemand wird es lesen und das ist noch das Beste, was mir wird passieren können, verstehst du?“

„Quatsch, so weit wird’s gar nicht kommen“, sagt mein Mann. „Wenn der Kampf gegen die Maschinen begonnen hat, werde ich im Lazarett sitzen und mich nützlich machen, aber du – du wirst Maschinenfutter sein. Mission Human Shield. Tut mir leid.“

Mein Mann spinnt weiter, erzählt von Schützengräben, davon, wie wir uns abends dreckverschmiert aneinander lehnen werden in irgendeinem Luftschutzbunker, in irgendeiner Höhle. 

„Hast du Höhle gesagt?“ Ich höre auf, vor unserem Esstisch auf und ab zu laufen, lehne mich an die Balkontür.

Eine Höhle. Genau. Zurück zum Anfang, zurück auf Los. Und genau da, im weichen Feuerschein auf staubigem Höhlenboden, werde ich ins Spiel kommen.

Erschöpft werde ich mich an meinen Mann lehnen, zu meinem Kind schauen, das auf einem Lammfell schläft. Zögerlich werde ich aufstehen, mich räuspern, mir Dreck von den Lumpen klopfen und beginnen: „Es war einmal ein Mann, der freihändig um einen Leipziger See radelte und mit seiner Tochter telefonierte. Sein Name war Mustafa.“ Ich werde mir eine kleine, feine Geschichte ausdenken und für einen Moment wird der Kampf um unsere Zukunft vergessen sein. Schüchtern werde ich in die trüben Augen einer Frau schauen, die noch vor wenigen Jahren Leiterin der zweitgrößten Versicherungsfiliale in ganz Castrop-Rauxel war und nun ihre Tage als Logistikoffizierin fristet, werde die Tränen sehen, die über ihre schmutzigen Wangen rollen.

Auch in den Augen meines Mannes schwimmen Tränen, in denen von Freunden und Fremden.

Und in dem Moment werde ich begreifen: Solange wir atmen, werden wir uns Geschichten erzählen. Sie sind, was uns zu Menschen macht, was uns verbindet, seit jeher. 

Die Zukunft der Menschheit hängt von Geschichten ab.

Lisa Roy lebt als Autorin in Köln. Sie veröffentlicht Kurzgeschichten in Zeitschriften und Anthologien. 2023 erschien ihr erster Roman "Keine gute Geschichte" im Rowohlt Verlag.