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Buchempfehlung

Ein großes Lesevergnügen

Michael Schumacher mit Krähen im Park
privat

Michael Schumacher liest den jüngsten Roman von Christoph Peters und ist einmal mehr beeindruckt von einem brillanten Erzähler.

– von Michael Schumacher

Bildrechte: privat

In Deutschland kommen jedes Jahr mehr als zehntausend Neuerscheinungen auf den Markt. Wer kann da noch den Überblick behalten? Wir! Einmal im Monat schicken wir Literaturkenner*innen und Vielleser*innen aus unserem Netzwerk ein Überraschungsbuch zu, das sie noch nicht kennen – aber unbedingt kennen sollten. Ihre Leseeindrücke verarbeiten sie anhand des folgendenen Fragebogens.

Im April liest Michael Schumacher, Autor aus Xanten, Krähen im Park von Christoph Peters.

Was hast du gedacht, als du das Buch ausgepackt hast?

Zunächst: Gekauft bei BiBaBuZe, DEM linken und unabhängigen Buchladen in Düsseldorf. Schon mal gut, ich kenne den Laden, ein Leuchtturm.
Ausgepackt: Christoph Peters – „Krähen im Park“
Erster Gedanke: Hervorragender Autor, ich war neulich bei einer Lesung von ihm einschließlich japanischer Teezeremonie. Ein täglich von ihm gepflegtes Ritual, bedachte Bewegungen, Präzision, Handeln in Achtsamkeit.
Dazu: Sein Heimatort Kalkar-Hönnepel ist gerade mal zehn Kilometer von Xanten entfernt. Ich kenne die Gegend und deren Geschichte, weiß, wo er zum Gymnasium gegangen ist, kenne die Mentalität der Leute.
Das Cover: sechs Personen auf dunklem Grund, von rechts nach links laufend, retrospektiv, viele gesenkte Köpfe, ein kleiner Hund mit aufgerichtetem Schwanz vorweg. Im Vordergrund: dunkles Grün, nach oben hin Abendrot. Ein Schlendern, nur der Hund strahlt Dynamik aus. Ein Hinterherdackeln.
Rückseite: Klappentext, Zitat „Der Tag war zu Ende. Es war ein schlechter Tag gewesen. Vielleicht ein guter Tag. Ein beliebiger, einmaliger Tag in einer ungezählten Folge von Tagen, seit die Erde sich um die Sonne drehte.“ Ich denke an Just Another Day on Earth, den Song von Brian Eno, an Filme von Robert Altman, an "Magnolia" von Paul Thomas Anderson.
Berlin, 9. November 2021 – ein Tag, viele Geschichten. Synchronizität am Schicksalstag der Deutschen: Novemberrevolution 1918, Pogromnacht 1933, Mauerfall 1989. „Messerscharfes Porträt einer Gesellschaft im Umbruch“. Symbolon, das Zusammengeworfene, das nur vordergründig nichts miteinander zu tun Habende.

Worum geht’s?

Berliner Splitscreen, etwa dreißig handelnde Personen, Querverbindungen, Singularitäten, keine Kapitel, Bezug zu Tauben im Gras von Wolfgang Koeppen und dessen in den 50er Jahren verfasster Trilogie. Stilistisch lehnt Peters sich an – Figurenarsenal, Montagetechnik, dos Passos winkt von ferne - blickt, so wie Koeppen auf das damalige Nachkriegsdeutschland, auf ein Deutschland mitten in der Coronakrise. Zoom in, Zoom out. „Oben hatte er bestimmt einen guten Blick über ganz Berlin, das würde ihm helfen, sich zu orientieren.“
Da dürfen alle ihre Standpunkte vertreten, Peters lässt sie zu Wort kommen, im Park Berlin herumkrähen, sich um die Krümel balgen, denn das Virus hat Grenzen verschoben oder sichtbarer gemacht. „Auf einem Mülleimer, der einem Tierkäfig ähnelte, hockte ein grauschwarze Krähe und legte den Kopf schräg. (…) Eine zweite landete auf dem gegenüberliegenden Rand. Beide Vögel beäugten sowohl einander als auch den Abfall. Nach einer Weile ließ sich die, die zuerst gekommen war, in den Müllkorb fallen, schnappte sich ein zerknittertes Päckchen aus Alufolie, in dem Brot und Fleischfetzen steckten, flog damit in den nächsten Baum. Die zweite folgte. Er wartete, dass die beiden Vögel zu kämpfen anfingen. Doch nichts dergleichen geschah. Die zweite Krähe schaute aus respektvollem Abstand zu, wie die erste das zerknitterte Silberpapier auseinanderrupfte, die essbaren Stücke herauszog und den Rest auf den Boden fallen ließ.“ Survival of the fittest, aber ich lasse dir noch was liegen. Ich bin ja nicht so.
Da ist einer, der genau hinschaut, selber in Berlin lebt, der die Zirkusshow kennt, meist stiller Beobachter, scharfer Analytiker, brillanter Erzähler, Chronist. Tricky, gleichzeitig Teil des Zirkus zu sein und ihn zu beäugen. Was Peters jedoch mühelos gelingt.

Worum geht’s wirklich?

Das ist die zweite Ebene des Buches. Der erfolglose Autor, der endlich seinen dritten Roman schreiben will, der sich gelegentlich noch im Ruhm vergangener Tage sonnt und nun den berühmten französischen Autor interviewen sollte, der zwecks Verleihung eines Literaturpreises in Berlin weilt und eigentlich ein veritabler Unsympath ist. Aber der durch Corona gebeutelte Literaturbetrieb braucht einen wie ihn, einen Provokateur, und die Vögel oder die, die sich für Kulturvögel halten, versammeln sich um ihn, um zu huldigen oder ihn zu schmähen. Der erfolglose Autor Urban (sic) bekommt von einer Studierenden auf seine Frage, ob sie denn auch schreibe, zu hören: „Nein, wirklich nicht, es gibt schon so viele schlechte Bücher, denen muss ich nicht noch eins hinzufügen.“
Eine Trilogie des Scheiterns will Peters verfassen, „Krähen im Park“ ist der zweite Band. „Alle knipsen - alle schreiben, der ganze Quatsch wird gnadenlos über sämtliche Social-Media-Kanäle veröffentlich, es gibt einfach nichts, was nicht schon tausendfach gezeigt beziehungsweise gesagt worden ist.“ Eine Kakophonie des Versagens.
Mit dem Scheitern, mit all den Fragen, die eine Schriftsteller-Existenz mit sich bringt, dem Immer-wieder-liefern-Müssen, dem Sich-zeigen-Müssen, dem Zweifeln kennt Peters sich aus. Wie er, nach langen Jahren und viel Mühen nun erfolgreich und preisgekrönt, hier die eigene Hood genüßlich seziert und wie auch en passant noch viele andere ihr Fett wegbekommen, ist ein großes Lesevergnügen.

Was hat dich beim Lesen überrascht?

Überrascht hat mich sein Mut, seine Figuren frank und frei vom Leder ziehen zu lassen, sie dürfen Plattitüden und Stereotypien aussprechen. Da wird – vielleicht auch als ironischer Aspekt eines „DAS wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ - nicht auf political correctness geachtet. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, heißt es doch. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Koeppens Tauben im Gras und dessen Verbannung aus dem Abiturkanon bekommt Peters´ Buch einen zusätzlichen Spin.

Welches Zitat würdest du dir an den Kühlschrank pinnen?

„Was man sich vorstellt, ist immer falsch.“
und
„Der Weg zum Übermenschen führte durch Massengräber.“

Welchen Titel hättest du dem Buch gegeben?

Schwierig, „Krähen im Park“ ist schon perfekt.
„Rasender Stillstand“ oder „Was zu schreiben wäre“ treffen es nicht annähernd.

Wer dieses Buch mag, mag auch …

Dorfroman von Christoph Peters, der Roman über seine Jugend am Niederrhein, über all das, was durch den Bau des Schnellen Brüters in Kalkar, der größten Investitionsruine der BRD, im Dorf zerbrochen und entstanden ist, wie sich dort eine der Keimzellen der Bürgerrechts- und Ökologiebewegung entwickelte und sich der junge Held des Buches aka Christoph Peters darüber politisiert hat.

Alle Menschen sollten dieses Buch lesen, weil …

… für jede und jeden die Corona-Pandemie ein Einschnitt in das bisher bekannte Leben darstellte und wir dereinst spätestens gegenüber unseren Kindern und Enkelkindern die Frage werden beantworten müssen, wie das denn damals war, welche Zerrüttungen mit weitreichenden Folgen entstanden sind und wie wir uns das in den Jahren danach haben verzeihen können. Oder eben nicht.


Das Buch:
Christoph Peters – Krähen im Park
Luchterhand
München 2024
320 Seiten