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Kolumne

Alles gut! Oder etwa nicht?

Illustration mit einem Daumen hoch
© Nadine Redlich für Literatur Rheinland

Unser Kolumnist Thorsten Krämer über zwei kleine Wörter, die für eine anderes Miteinander stehen.

– von Thorsten Krämer

Bildrechte: © Nadine Redlich für Literatur Rheinland

Hier schreiben im Wechsel Autor*innen aus dem Rheinland über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind. Heute: Thorsten Krämer.

Mit der Sprache ist es wie mit den Kindern: Im täglichen Umgang mit ihnen sieht man nicht, wie sie sich verändern; aber wenn der entfernte Onkel mal wieder zu Besuch kommt, erkennt er sie fast nicht wieder. Eine Freundin von mir, die nach zwanzig Jahren im Ausland erst vor Kurzem nach Deutschland zurückgekehrt ist, berichtete mir jetzt von einer ähnlichen Erfahrung. Überall begegne ihr eine Wendung, die sie früher nie gehört hatte: Alles gut.

Tatsächlich benutze auch ich diese beiden Wörter regelmäßig, ohne sagen zu können, wann ich damit angefangen habe. Das liegt sicher daran, dass Alles gut sich so vielseitig verwenden lässt. Es ersetzt gleich mehrere andere Ausdrücke wie Keine Ursache, Kein Problem, Nicht deswegen, oder Bitte, belasten Sie ihr Erinnerungsvermögen nicht! Zwei einfache Wörter, die uns plötzlich zur Verfügung stehen, um fast alle kommunikativen Untiefen zu umschiffen, die Wogen eines Missverständnisses wieder zu glätten und eine aus dem Ruder laufende Unterhaltung wieder in den sicheren Hafen des Einverständnisses zu bringen. 

„ Während die Weltlage sich in einer Dauerkrise eingerichtet hat, die mit Kriegen und Klimakollaps auf eine globale Katastrophe zuläuft, versichern wir uns im Alltag stets aufs Neue, es wäre alles gut. “

Dabei, und das ist das Kuriose an der Sache, ist nun nachweislich wirklich nicht alles gut. Ganz im Gegenteil sogar. Vielleicht ist das aber genau der Grund für den Erfolg der Phrase? Während die Weltlage sich in einer Dauerkrise eingerichtet hat, die mit Kriegen und Klimakollaps auf eine globale Katastrophe zuläuft, versichern wir uns im Alltag stets aufs Neue, es wäre alles gut.

Man kann darin eine gefährliche Ignoranz sehen, oder aber, und zu der Ansicht neige ich persönlich, ein utopisches Element. Denn das alles, um das es in der Wendung geht, ist ja nicht die Gesamtheit aller Sachverhalte, sondern betrifft die beiden Menschen, Sprecher*in und Hörer*in, zwischen die es im Gesprochenwerden tritt. Alles gut heißt zwischen uns beiden ist alles gut, jetzt in diesem Moment, da wir miteinander reden. Daraus folgt nicht, dass es gut bleibt, aber es reicht für ein Atemholen, ein friedliches Innehalten in turbulenten Zeiten. 

Das ist nun aber arg optimistisch gedacht, finden Sie? Stimmt. Es gibt auch die andere Seite des Alles gut. Die Wendung eignet sich nämlich ideal, um drohende Diskussionen abzublocken. Alles gut kann auch heißen: Ja ja, mach keinen Stress, ich hab Wichtigeres zu tun, als mich hier mit so Kinkerlitzchen zu beschäftigen. Wer Alles gut sagt, will nicht debattieren, sondern seine Ruhe haben. Eine solche Haltung ist natürlich verwerflich, wir sind hier schließlich in Deutschland, einem Land also, in dem es Teil der demokratischen Verantwortung aller Bürger*innen ist, die Dinge auszudiskutieren, keiner Debatte aus dem Weg zu gehen und in den sozialen Medien jeden Post zu kommentieren, der der eigenen Weltanschauung widerspricht. Alles gut dagegen heißt: Deutschland macht sich locker. Ein erschreckender Gedanke!

Sie sehen, was ich hier getan habe – den Nachteil des Alles gut kurzerhand zum Vorteil umgedeutet. Das ist nicht nett, ich weiß, denn so kann man nicht diskutieren. Muss man ja auch nicht, also nicht immer. Das ist das Schöne an diesen zwei kleinen Wörtern. Sie lassen einen Freiraum, in dem der eine die andere nicht übertrumpfen oder von etwas überzeugen muss. Zwei Menschen einigen sich darauf, es für heute gut sein zu lassen, und die Luft eines Atemzugs reicht dafür. 

Deshalb: Von den vielen Dingen, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Deutschland verändert haben, gehört dieses kleine sprachliche Phänomen sicherlich zu den Verbesserungen. Manchmal braucht es allerdings den Blick von außen, um so etwas festzustellen.

Was denn, Sie sind immer noch anderer Meinung? Alles gut.

Thorsten Krämer lebt als freier Autor und Gestalttherapeut in Wuppertal. Zuletzt erschien sein Gedichtband Momente im ELIF Verlag