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Kolumne

Keine Anleitung für Flohmarkt­schnäppchen

Illustration einer Vase, die einen Fünf-Euro-Schein hält
© Nadine Redlich für Literatur Rheinland

Unsere Kolumnistin Juliana Kálnay liebt es, auf Flohmärkte zu gehen – nur hat sie ein Problem: Sie kann nicht feilschen.

– von Juliana Kálnay

Bildrechte: © Nadine Redlich für Literatur Rheinland

Hier schreiben im Wechsel Christian Bartel, Juliana Kálnay und Melanie Raabe über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind.

„Für 'nen Zehner?“ Neben mir am Flohmarktstand hält ein Mann ein Gesellschaftsspiel in die Höhe. „Paleo“ steht auf dem Karton. Er sieht ziemlich neuwertig aus. „Für zwanzig“, sagt die Händlerin. „Wir haben nur ein Mal damit gespielt. Sind nicht so die Spieler.“

Wann immer ich auf einem Flohmarkt bin, beobachte ich solche oder ähnliche Szenen. Ich gehe gern auf Flohmärkte. Mag es loszuziehen und nicht zu wissen, ob und was ich dort finden werde, und später möglicherweise mit Dingen, die selbst eine Vorgeschichte mitbringen, nach Hause zu gehen. Ich habe auf Flohmärkten schon großartige Bücher aus zweiter Hand für nur wenige Euro erstanden. Und auch ein paar meiner Einrichtungsgegenstände gehen auf einen Flohmarktfund zurück.

Wahrscheinlich würde ich noch bessere Schnäppchen auf dem Flohmarkt machen, wenn ich dort auf eine ähnliche Art wie der Mann mit dem Paleo-Spiel versuchen würde zu feilschen. Es gibt Menschen, die sagen, dass das Feilschen zur Flohmarkterfahrung dazu gehört. Und es gibt Flohmarkthändler, die das bestimmt genauso sehen und bei ihrer Preisgestaltung einkalkulieren. Das Problem ist, dass ich einfach nicht feilschen kann. Wenn mich etwas interessiert, frage ich, was man dafür haben möchte. Und wenn es dem entspricht, was ich bereit bin zu bezahlen, kaufe ich es ohne Widerworte für den genannten Preis. Wenn nicht, sage ich höflich Danke und ziehe weiter.

„ Unangenehm wird es, wenn auf meine Frage nach dem Preis die Gegenfrage erfolgt, was ich denn dafür zahlen möchte. “

Unangenehm wird es, wenn auf  meine Frage nach dem Preis die Gegenfrage erfolgt, was ich denn dafür zahlen möchte. Innerhalb von wenigen Sekunden sieht man sich gezwungen, eine passende Zahl zu nennen, wobei das Risiko, dabei eine unpassende zu wählen hoch und der erforderliche Abwägungsprozess für die Kürze der verfügbaren Zeit hochkomplex ist. Einerseits möchte man möglichst wenig bezahlen, zumindest auf keinen Fall mehr als nötig. Andererseits sollte man aber auch keinen zu geringen Preis nennen, der dazu führen könnte, dass man als Geizhals dasteht oder sich die handelnde Person gar auf die Füße getreten und den angebotenen Gegenstand als zu wenig wertgeschätzt sieht, was sie dazu bewegen könnte, ihn einem gar nicht mehr verkaufen zu wollen. Die einzige Schätzfrage mit wahrscheinlich noch größerem Fettnäpfchenpotential ist: „Was meinst du, wie alt ich bin?“

Vor einigen Jahren wohnte ich in einer Stadt, in der von März bis Oktober einmal im Monat ein Flohmarkt stattfand, der sich über die gesamte Innenstadt erstreckte. Meine Mitbewohnerin war eine passionierte Flohmarktgängerin und erfahrene Schnäppchenjägerin, die mir beibrachte, dass man die besten Angebote finden konnte, wenn man frühmorgens mit dem Stöbern begann, während die Stände noch aufgebaut wurden. Und dass man, wenn man verschlafen hatte, am späten Nachmittag noch den ein oder anderen Fund günstig abstauben konnte, wenn die Händler schon begonnen hatten, ihre Ware einzuräumen und froh über jeden Gegenstand waren, den sie doch nicht mehr zurück nach Hause nehmen mussten.

An manchen Flohmarktsonntagen gingen wir zusammen los, an anderen liefen wir uns früher oder später vor Ort über den Weg. Einmal trug sie dabei einen großen Karton mit sich herum, dabei war sie gerade seit ungefähr fünfzehn Minuten auf dem Markt unterwegs. Was sie erstanden habe, fragte ich sie. Sie zeigte mir den Inhalt des Kartons: eine große Menge an Metallschrauben. „Oha“, sagte ich. Und: „Wofür brauchst du so viele Schrauben?“ „Weiß ich noch nicht“, antwortete sie, „aber sie waren einfach so günstig.“ Ob ich denn schon etwas gefunden hatte, wollte sie wissen. „Nur ein paar Bücher“, sagte ich.

Ehrlicherweise sollte ich hier erwähnen, dass mein akuter Bedarf an Lesestoff nicht unbedingt höher einzuschätzen war als der meiner Mitbewohnerin an Schrauben. Denn auch wenn ich viel und schnell lese, schaffe ich wesentlich schneller neue Bücher an, als ich mit der Lektüre hinterherkomme. Meine Mitbewohnerin lachte: „Gut, dass wir in unserer WG alle ein bisschen unsere eigenen Karikaturen sind.“ Dann musste sie auch schon los, nach Hause, der Karton mit den Schrauben war einfach zu schwer, um damit noch weiter über den Flohmarkt zu schlendern.

Der Mann, der sich für das Paleo-Spiel interessierte, wollte es sich übrigens noch überlegen. Ob er es letztendlich kaufte (und wenn ja, zu welchem Preis), habe ich nicht mehr mitbekommen.

Damals in unserer WG jedoch wuchsen in meinem Zimmer auch ohne zu Feilschen nach und nach die Regalmeter. In unserem Flur sammelten sich neben dem Karton mit den Schrauben weitere Flohmarktschnäppchen meiner Mitbewohnerin. Irgendwann waren wir die wahrscheinlich einzige WG der Stadt mit einem eigenen Feuerlöscher – man hatte ihr ein Angebot gemacht, das sie nicht ablehnen konnte.

Juliana Kálnay hat vor ein paar Jahren in Köln am 11.11. einen Flohmarkt in der Südstadt besucht und dort ein kleines Regal erstanden. Im Anschluss machte sie sich viele Freunde bei dem Versuch, das Möbelstück in einer Straßenbahn voller Jecken, die darauf gerne ihre Getränkebecher abgestellt hätten, nach Hause zu transportieren.