Magazin

Kolumne

Verpackte Wartezeit

Zeichnung von Nadine Redlich von einem Männchen, das eine große Sanduhr auf dem Rücken trägt
Nadine Redlich

Juliana Kálnay über die Anhäufung von Wartezeit: ein Lampen-Lamento.

– von Juliana Kálnay

Bildrechte: Nadine Redlich

Hier schreiben im Wechsel Christian Bartel, Juliana Kálnay und Melanie Raabe über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind.

Es gibt einen Satz, den ich länger nicht mehr gehört habe: „Bringen Sie bitte etwas Wartezeit mit“, hieß es meist, wann immer man in einer ärztlichen Praxis anrief, um kurzfristig einen Termin zu bekommen. Als wäre Wartezeit etwas, bei dem man frei entscheiden könnte, ob man es einpackt oder nicht, bevor man die Wohnung verlässt. Als könnte man sie versehentlich zuhause liegen lassen wie eine Krankenversicherungskarte. Doch seit wir in einer Pandemie leben, sehen Hygienekonzepte es vor, dass möglichst wenige Menschen in Wartezimmern aufeinandertreffen. Im Idealfall erscheint man auf die Minute genau zum Termin und muss sie gar nicht erst betreten. Man fragt sich, warum das früher nicht auch schon möglich war und häuft dafür Wartezeit an anderen Stellen an.

Im März bestellte ich eine Stehlampe. Die voraussichtliche Lieferzeit wurde mit acht Wochen angegeben, auf der Homepage konnte man den Lieferstatus einsehen. Die folgenden Wochen und Monate beobachtete ich, wie sich die Lampe stets „auf dem Versandweg“ befand, während sich das geplante Auslieferungsdatum immer weiter nach hinten verschob. Auf dem Laptop las ich Meldungen zu Reisebeschränkungen, Viren-Varianten, Brexitverhandlungen und einem im Suezkanal feststeckenden Frachtschiff und fragte mich, ob darin die Ursache für den langen Versandweg lag und was mich wohl zuerst erreichen würde: die Lampe oder ein Impfangebot.

„ Ich fragte mich, [...] was mich wohl zuerst erreichen würde: die Lampe oder ein Impfangebot. “

Mitte August traf das Paket schließlich bei mir ein. Als ich die Lampe auspackte, stellte ich jedoch fest, dass ihr Stecker auf keine meiner Steckdosen passte – es handelte sich um ein „Commonwealth Modell“. Auch mithilfe eines Reiseadapters blieb die Glühbirne aus und das Zimmer dunkel. Eine Mitarbeiterin im Kundenchat erklärte mir später, die Lampe würde auch in Deutschland nur mit diesem Steckermodell angeboten, ich könne jedoch einen anderen Adapter kaufen und mir den Kaufbetrag von ihnen erstatten lassen. Ich fragte, ob es möglich wäre, den Lampenschirm, den sie auch separat verkauften, zu behalten und nur den Lampenfuß zurückzuschicken. Die Erfolgsaussichten, anderweitig einen passenden Fuß zu finden, erschienen mir größer als die auf einen passenden Adapter und seine Erstattung. Die Mitarbeiterin verneinte. Ich schielte auf die angekündigte Lieferzeit für den Lampenschirm, drei bis vier Wochen, seufzte und fragte, ob man das Paket, das mir immerhin bis zum Bauchnabel reichte, wenigstens abholen lassen könne. Natürlich, schrieb sie, würde es mir am kommenden Dienstag passen?

Wenn man auf etwas wartet, hat man in den seltensten Fällen das Gefühl, Einfluss auf die Dauer der Wartezeit nehmen zu können. Man fügt sich einem Rahmen, der von außen vorgegeben wird. Versucht im besten Fall noch, die Zeit „sinnvoll“ zu gestalten, sich davon abzulenken, dass man wartet. Ruft sich immer wieder ins Gedächtnis: Nicht mehr lange, dann ...

Zwei Tage nachdem das Paket mit der Stehlampe abgeholt worden war, klingelte es wieder. Als ich die Tür öffnete, erblickte ich denselben Paketboten, der schon zwei Tage zuvor dagewesen war – in der Hand dasselbe Paket. Es schien nur um ein paar Zentimeter gewachsen zu sein. Das Versandetikett, das oben auf dem Paket prangte, war überklebt worden. Sie müssen einen neuen Lieferschein beantragen, sagte der Paketbote schulterzuckend, während ich auf der Fußmatte kniete und erfolglos versuchte, das überklebte Etikett freizulegen, ohne es zu beschädigen. Seitdem steht das Paket wieder bei mir im Flur. Eine Woche später entdeckte ich die ersten Spinnweben an ihm. Der Paketbote ist zum neuen Abholtermin nicht mehr erschienen und ich traue mich nicht, die Wohnung zu verlassen, falls er doch noch kommen sollte. Der Lampenschirm soll in drei Wochen geliefert werden, voraussichtlich. Die Tage werden wieder kürzer. Ich haben damit begonnen, abends Kerzen in meiner Leseecke aufzustellen. Überall liest man von Lieferschwierigkeiten: Papiermangel, Holzmangel, Stahlmangel, Containermangel. Ich frage mich, welche Paketgröße man für das Einpacken von Wartezeit braucht, ob so ein Paket mit der Zeit wächst und wo man anrufen muss, um es abholen zu lassen und bedauere, dass Hoffnungsfunken nicht als Leuchtmittel taugen.

Juliana Kálnay hat Übung im Warten. Ursprünglich sollte diese Kolumne bereits im September erscheinen, doch auch der Launch dieser Website verzögerte sich. Seit Anfang November ist die Autorin nun stolze Besitzerin eines Lampenfußes. Der dazugehörige Lampenschirm soll kommende Woche geliefert werden, voraussichtlich.