Autor*innen-Porträts

Albert Vigoleis Thelen

28. September 1903 – 9. April 1989

Albert Vigoleis Thelen
© Heimatverein Viersen

Autor und Ort

Albert Thelen, so sein Geburtsname, kam am 28. September 1903 in Süchteln, heute ein Stadtteil von Viersen, zur Welt. Sein Geburtshaus liegt an der Tönisvorster Straße. Mit seiner Heimat war Thelen in herzlicher Abneigung verbunden, ironischerweise war sein erster ge­druck­ter Text das Süch­tel­ner Stadt­lied aus dem Jahr 1928, ei­ne Auf­trags­ar­beit des da­ma­li­gen Bür­ger­meis­ters Jo­sef Stein­büchl. Obwohl er in Viersen geboren wurde und auch starb, verbrachte Thelen die meiste Zeit seines Lebens im Ausland – als Geflüchteter. Erst 1986 kehrte er mit seiner Ehefrau Beatrice in seine Geburtsstadt zurück, dort lebte er die letzten Jahre im St.-Cornelius-Stift im Stadtteil Dülken. 1990, kurz nach seinem Tod, wurde die neue Stadtbibliothek am Rathausmarkt nach Thelen benannt. Außerdem wurde 2005 an einer Hauswand in Palma de Mallorca, wo er von 1931 bis 1936 Zuflucht fand, zu seinen Ehren eine Plakette angebracht, die auch auf seinen Geburtsort Viersen verweist.

Leben und Werk

Der Literaturwissenschaftler Jürgen Pütz nannte Albert Vigoleis Thelen einmal „den großen Unbekannten der deutschen Literatur“. Dabei gilt sein Roman Die Insel des zweiten Gesichts als eines der größten literarischen Werke des 20. Jahrhunderts, geadelt von literarischen Größen wie Paul Celan und Siegfried Lenz, letzterer nannte das Buch ein „Ereignis“. Wie passt das zusammen?

Albert Thelen wurde 1903 in Süchteln am Niederrhein geboren. Den Zweitnamen Vigoleis gab er sich selbst, als er als Student erste Schreibversuche unternahm, er ist eine Anlehnung an das Versepos Wigalois des Wirnt von Grafenberg aus dem frühen 13. Jahrhundert. Thelen ging auf das Gymnasium in Süchteln, brach die Schule jedoch bereits nach einem Jahr ab und begann stattdessen eine Lehre als Schlosser. Danach arbeitete er kurz als technischer Zeichner, bevor er 1923 das Arbeitsverhältnis beendete, um die Textilfachschule in Krefeld zu besuchen. 1925 immatrikulierte er als Nichtabiturient an der Universität zu Köln im Fach Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte. Nach drei Semestern wechselte er an die Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, wo er sich den Zeitungswissenschaften und der Niederländischen Philologie widmete.

1928 arbeitete er als Assistent des Publizisten Carl d’Ester in Köln an der Internationalen Presseausstellung „Pressa“ mit, wo er auch seine spätere Ehefrau, die Schweizerin Beatrice Bruckner, kennenlernte. Seinen Lebensunterhalt verdiente er in dieser Zeit auf der Geflügelfarm seines älteren Bruders Josef. Parallel versuchte er immer wieder, Artikel zu veröffentlichen, was ihm am 12. September 1929 erstmals mit einem Artikel über den Maler Hermann Schmitz in der Vereinigten Drei-Städte-Zeitung, der vorherigen Viersener Volkszeitung gelang.

Ab 1931 hielten sich Thelen und Beatrice Bruckner auf Mallorca auf, 1934 heirateten sie in Barcelona. Thelen proklamierte dort – unter anderem als Reiseführer – öffentlich seine Abneigung gegen das NS-Regime. Von den Nazis ausgebürgert, veröffentlichte er von da an unter dem Pseudonym Leopold Fabrizius Rezensionen deutscher Exilliteratur. Während des Spanischen Bürgerkriegs wurde das Ehepaar 1936 von der faschistischen Bewegung der Falange nach Marseille vertrieben. Danach zog es sie weiter nach Auressio im Tessin. Nach dem Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion erschien ihnen die Schweiz nicht mehr als sicher, sodass sie, einer Einladung des portugiesischen Dichters Teixeira de Pascoaes folgend, über Bordeaux auf dessen Weingut in der Nähe von Amarante zogen. Während dieses Aufenthalts war er als Literat und Übersetzer aktiv. Gemeinsam mit seinem Freund Hendrik Marsmann übersetzte er die Paulus-Biografie von Pascoaes ins Niederländische, später auch dessen Werk Hieronymus.

1947 ließ sich Thelen mit seiner Ehefrau in Amsterdam nieder, wo sie insgesamt sieben Jahre blieben. 1953 erschien schließlich – Thelen war zu diesem Zeitpunkt 50 Jahre alt – sein Erstling Die Insel des zweiten Gesichts (1953). Das fast 1000 Seiten starke Buch gilt als sein Hauptwerk und wurde sofort überaus positiv aufgenommen, Thomas Mann zählte es zu seinen Lieblingsbüchern. Das Werk schildert den Aufenthalt Thelens und seiner Ehefrau auf Mallorca, es handelt sich dabei jedoch nicht um eine klassische Autobiografie, da der Autor seine per­sön­li­chen Er­in­ne­run­gen immer wieder fiktionalisiert.

Anschließend ging das Ehepaar zurück in die Schweiz. 1962 erhielt Thelen, als „Verfolgter des Naziregimes“ anerkannt, eine kleine Rente. Insgesamt lebte er 55 Jahre im Exil. Von dort schrieb er frei, spielerisch und fantasievoll (er beherrschte sechs Sprachen, auf deren Wortschatz er zurückgriff), abseits der literarischen Kategorien, was ihm später auch die abwertende Kritik „Emigrantendeutsch“ einbrachte. Nachdem sein zweiter Roman Der schwarze Herr Bahßetup (1956) keinen Anklang fand, zog Thelen sich zurück. Er schrieb zwar weiter, vor allem Gedichte und Briefe, geriet mit der Zeit jedoch in Vergessenheit und ist heute allenfalls Literaturkenner*innen ein Begriff

1986 gingen Albert Vigoleis Thelen und seine Ehefrau Beatrice Bruckner nach langer Weltreise gemeinsam in das Seniorenheim St. Cornelius in Viersen-Dülken, wo Thelen am 9. April im Alter von 85 Jahren verstarb.

Von Nina Höhne

Die Insel des zweiten Gesichts (Romanauszug)

Der Freilichtzirkus hatte sein Programm abgewickelt, man brach die Zelte ab, packte den Troß zusammen, alles drängte sich an die Reling, um keine Szene von dem erregenden Schauspiel zu verlieren, das jede Hafeneinfahrt bietet.

Ungefähr eine Stunde schon hatte die Kathedrale von Palma den Hintergrund des Bildes beherrscht, erst nur als großartiger Klotz, goldbraun, von der Sonne angeschienen, die Gliederung der Baute noch verborgen unter der alles gleichmachenden Lichtfülle. Je näher wir indessen kamen, um so deutlicher trat jedes Maßwerk in den Blick. Die mathematische Ordnung des Aufrisses wurde erkennbar. Der gotische Flug gen Himmel, ich entsinne mich gut dieses ersten Eindruckes, den ich näher kommend gewann, wird auf die Erde herabgezogen, er bleibt an den Stein und in den Stein gebannt, als wie auch selten der Vers eines iberischen Mystikers sich vom Wort loszulösen vermag. An die irdische Flur gebunden, steht diesem Geist der Himmel offener als in den sonnenarmen Zonen, wo Nebel schwelen und das Auge Dinge gewahrt und das Herz Dinge wähnt, die jenseits der Grenze von Erkenntnis und Liebe sind – wo man Gott nicht schaut.

(aus: Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts. Aus den angewandten Erinnerungen des Vigoleis. Diederichs Verlag, Düsseldorf 1953.)

 

Dank an die Hosenträger

Habe Dank, du Trägerin der Hose,
daß du hältst, was ohne dich sonst fiel.
Selbst in Zeiten, die moralisch lose,
gibt es mir ein sicheres Gefühl

für den Fall des allerschlimmsten Falles,
wo ins Rutschen kommt, was es nicht darf.
Denkst du noch an jedes Mal, wo alles
seine frechen Blicke nach mir warf

Und mich züchtigte ob meiner Blöße,
unverschuldet in des Traumes Wirren?
Schrecklich ahne ich der Schande Größe,
wenn sich die Begebenheiten irren

und im Wachsein an mir demonstrieren,
was im Subbewußten intrigiert –
dann bist du mit deinen Gummischnüren
die Gewähr, daß gar nichts sich verliert.

Habe Dank, du Trägerin der Hosen,
daß du hältst, was ohne dich sonst fiel,
du, Begehrlichste von allen Chosen
in dem Warenhaus für Galanterie und Spiel.