Autor*innen-Porträts

Anne Frank

12. Juni 1929 – Februar/März 1945

Anne Frank
© Photo Collection Anne Frank House

Autorin und Ort

Anne Frank lebte zwischen Juli 1933 und Januar 1934 bei ihrer Großmutter Rosa Holländer am Aachener Pastorplatz. Sie war damals erst vier Jahre alt und notierte später in ihren berühmten Aufzeichnungen, sie habe sich in Aachen sehr einsam gefühlt. Von einem Tag auf den anderen habe man sie „Judenkind“ genannt und es habe niemand mehr mit ihr spielen wollen. 2009 wurden Stolpersteine für sie, ihre Schwester Margot und Mutter Edith am Pastorplatz 1 in Aachen eingesetzt, sie weisen auf den letzten Wohnort der drei Frauen in Deutschland hin, bevor sie in den Jahren 1933 bzw. 1934 in die Niederlande auswanderten. An Anne Frank und ihre Familie erinnern in Aachen außerdem das 1979 gegründete Anne-Frank-Gymnasium sowie ein Gedenkstein in der Monheimsallee, wo einmal das Elternhaus der Mutter stand. Auf Initiative der Eigentümer des Hauses an der Ecke Roonstraße/Pastorplatz wurde 2022 ein Graffiti mit dem Konterfei Anne Franks an einer Hauswand angebracht.

Leben und Werk

Anne Frank wurde als Anneliese Marie Frank am 12. Juli 1929 in Frankfurt am Main geboren. Sie war nach Margot die zweite Tochter des jüdischen Ehepaars Otto Frank und Edith Frank-Holländer. Der 1889 geborene Vater, der aus einer wohlhabenden Frankfurter Familie stammte, war Soldat im Ersten Weltkrieg und danach als Unternehmer tätig. Edith Holländer war 1900 in Aachen zur Welt gekommen und machte 1916 an der Evangelischen Höheren Töchterschule (heute Viktoriaschule) das Abitur. Beide Familien gehörten zum assimilierten Judentum.

Nachdem die NSDAP am 13. März 1933 – wenige Wochen nach Hitlers Machtergreifung – bei der Kommunalwahl in Frankfurt die Mehrheit erreicht hatte, kam es am 1. April auch dort zum „Judenboykott“. Die Eltern waren besorgt und fragten sich, ob sie in Deutschland bleiben sollen. Im September desselben Jahres nahm Otto Frank das Angebot an, eine Niederlassung der Opekta in Amsterdam aufzubauen. Seine Frau übersiedelte zunächst mit den Töchtern nach Aachen zu ihrer Mutter Rosa Holländer. Edith Frank folgte ihrem Mann im Dezember 1933 und mietete eine Wohnung am Merwedeplein. Margot wurde im selben Monat nachgeholt, Anne im Februar 1934. Durch das Reichsbürgergesetz verlor die Familie Frank dort 1941 ihre deutsche Staatsbürgerschaft und wurde staatenlos. Ab Mai besuchte Anne Frank in Amsterdam den Kindergarten der Montessori-Schule, in die sie 1935 überging. 1941 wechselte sie zum jüdischen Lyzeum.

Am 10. Mai 1940 wurden die Niederlande von Hitler-Deutschland besetzt. Für Juden wurde die Situation immer gefährlicher. Als Margot sich zum „Arbeitseinsatz“ melden sollte, tauchte die Familie am 6. Juli 1942 im Hinterhaus eines Firmengebäudes in der Prinsengracht 263 unter. Eine Woche später folgten Auguste und Hermann van Pels mit Sohn Peter und am im November der Zahnarzt Fritz Pfeffer. Sie wurden von eingeweihten Firmenmitarbeiter*innen versorgt.

Vom 12. Juli 1942 bis zum 1. August 1944 führte Anne auf Niederländisch Tagebuch. Die Einträge bestehen aus Briefen an die fiktive Freundin „Kitty“. Anne schildert den Tagesablauf, die schwierige soziale Interaktion, die Angst vor Entdeckung, die schlechte Ernährungslage. Zugleich ist das Tagebuch ein Dokument ihrer Gefühlsschwankungen, Selbstzweifel und Entwicklung. Anne erscheint darin als intelligentes, selbstbewusstes und lebensbejahendes Mädchen, das sich emanzipiert und trotz der Gefahr seine „glückliche Innennatur“ bewahrt. Kleine Prosaskizzen zeigen ihr literarisches Talent. Sie wollte ihr Tagebuch später zu dem Roman Das Hinterhaus umarbeiten.

Am 4. August 1944 wurden die Untergetauchten von SS und deutscher Polizei verhaftet und am 3. September mit dem letzten Transport nach Auschwitz deportiert. Ob und von wem sie verraten wurden, ist umstritten. Anne war drei Monate vor der Ankunft in Auschwitz 15 Jahre alt geworden und entging damit dem direkten Tod. 549 der 1.019 Passagiere – darunter alle Kinder unter 15 Jahren – kamen direkt in die Gaskammern.

Als die Alliierten immer näher rückten, entschlossen sich die Nationalsozialisten, Auschwitz allmählich zu räumen. Anfang November 1944 wurde Anne mit ihrer Schwester Margot ins KZ Bergen-Belsen gebracht und dadurch von ihrer Mutter getrennt. Eine Freundin, die sie dort wiedersah, beschrieb Anne folgendermaßen: „Sie war da schon ein Skelett. Sie war in eine Decke eingehüllt. Sie konnte ihre eigenen Sachen nicht mehr anziehen, denn die waren voller Läuse.“ Aufgrund von Überfüllung breiteten sich Krankheiten wie Typhus in dem Lager aus. Im Februar oder März 1945 – die genauen Daten wurden kurz vor dem Kriegsende nicht mehr notiert – starb erst Margot, einige Tage danach Anne. Wenige Wochen später, am 15. April 1945, befreiten britische Truppen das Lager. Bis auf Otto Frank, Annes Vater, kamen alle in dem Hinterhaus in Amsterdam versteckten Menschen um. 

Anne Franks Tagebuch erschien erstmals 1946 in den Niederlanden, 1950 folgte die deutsche Übersetzung. 1991 wurde die erste ungekürzte Ausgabe veröffentlicht. Es ist ein einmaliges historisches Zeugnis und gehört bis heute zur Schullektüre. Zahlreiche Statuen und Straßen erinnern an Anne Frank, vielfach sind Schulen nach ihr benannt. Das Haus in der Prinsengracht 263, Anne-Frank-Haus genannt, ist heute ein Museum und Dokumentationszentrum.

Von Jürgen Egyptien

Tagebuch

Mittwoch, 3. Mai 1944
Liebe Kitty!

(…)

Du kannst dir sicher denken, wie oft hier verzweifelt gefragt wird: „Wofür, oh, wofür nützt nun dieser Krieg? Warum können die Menschen nicht friedlich miteinander leben? Warum muss alles verwüstet werden?“

Diese Frage ist verständlich, aber eine entscheidende Antwort hat bis jetzt noch niemand gefunden. Ja, warum bauen sie in England immer größere Flugzeuge, immer schwerere Bomben und gleichzeitig Einheitshäuser für den Wiederaufbau? Warum gibt man jeden Tag Millionen für den Krieg aus und keinen Cent für die Heilkunde, für die Künstler, für die Armen? Warum müssen die Leute hungern, wenn in anderen Teilen der Welt die überflüssige Nahrung wegfault? Warum sind die Menschen so verrückt? 

Ich glaube nicht, dass der Krieg nur von den Großen, von den Regierenden und Kapitalisten gemacht wird. Nein, der kleine Mann ist ebenso dafür. Sonst hätten sich die Völker doch schon längst dagegen erhoben! Im Menschen ist nun mal ein Drang zur Vernichtung, ein Drang zum Totschlagen, zum Morden und Wüten, und solange die ganze Menschheit, ohne Ausnahme, keine Metamorphose durchläuft, wird Krieg wüten, wird alles, was gebaut, gepflegt und gewachsen ist, wieder abgeschnitten und vernichtet, und dann fängt es wieder von vorn an.

Ich bin oft niedergeschlagen gewesen, aber nie verzweifelt. Ich betrachte dieses Verstecken als ein gefährliches Abenteuer, das romantisch und interessant ist. Ich beschreibe jede Entbehrung in meinem Tagebuch wie eine Unterhaltung. Ich habe mir nun mal vorgenommen, dass ich ein anderes Leben führen werde als andere Mädchen und später ein anderes Leben als normale Hausfrauen. Das ist ein passender Anfang mit viel Interessantem, und darum, nur darum muss ich in den gefährlichsten Augenblicken über die komische Situation lachen.

Ich bin jung und habe noch viele verborgene Eigenschaften. Ich bin jung und stark und erlebe das große Abenteuer, sitze mittendrin und kann nicht den ganzen Tag klagen, weil ich mich amüsieren muss! Ich habe viel mitbekommen, eine glückliche Natur, viel Fröhlichkeit und Kraft. Jeden Tag fühle ich, wie mein Inneres wächst, wie die Befreiung naht, wie schön die Natur ist, wie gut die Menschen in meiner Umgebung, wie interessant und amüsant dieses Abenteuer. Warum sollte ich dann verzweifelt sein?

Deine Anne M. Frank

(zitiert nach: Anne Frank: Tagebuch. Ergänzte Ausgabe. 11. Auflage. S. Fischer Verlage, Frankfurt 2007, S. 266f.)