Autor*innen-Porträts

Adolf Endler

20. September 1930 – 2. August 2009

Adolf Endler
© picture-alliance dpa / Torsten Leukert

Autor und Ort

In seiner Autobiografie schreibt Adolf Endler: „Meine ersten Gedichte habe ich aus der Walther-Rathenau-Straße 13 in die erst später etwas interessiertere Welt geschickt – mit sechzehn; Wehmut.“ Das muss 1946 oder 1947 gewesen sein. Die Walther-Rathenau-Straße in Düsseldorf-Holthausen hatte gerade ihren Namen zurückerhalten (bis Kriegsende war sie nach einem SS-Mann benannt gewesen). Das dreigeschossige Mietshaus steht noch, wenig verändert die gelbliche Rauputzfassade mit den Ziegelverblendungen, typisch für die 20er und 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. 

Endler, der das Rheinland 1955 verließ und in die DDR übersiedelte, verfasste dort das Poem „Dreieck, indem ich wohnte: Düsseldorf“, verortet zwischen Itter, Holthausen und Benrath. Die Straßenbahnlinie 18 führte damals hier entlang nach Benrath, mit der Endler bis zur Mittleren Reife zum Schlossgymnasium fuhr. Dabei kreuzte er täglich die „Benrather Linie“, die Sprachgrenze zwischen dem Nieder- und Mitteldeutschen, auf der das spezifische „süddüsseldorferische Rheinisch“ (wie er es nannte) entstand. Dieser Sprachsound bildete für ihn und sein Werk eine Art Grundrauschen. Auch den Nachnamen seines mythischen Helden Bubi Blazezak brachte er aus dem Düsseldorfer Süden mit.

Leben und Werk

Trotz der rheinischen Prägung ist Adolf Endler so wenig wie Heinrich Heine ein Düsseldorfer Dichter. Beide sind geworden, was sie sind, weil sie Düsseldorf verlassen haben. Den einen drängte es in die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, Paris, den anderen in die DDR. 

Adolf Endler kam am 20. September 1930 in Düsseldorf zur Welt und verbrachte Kindheit und Jugend in den südlichen Stadtteilen, die teils bäuerlich, teils industriell geprägt waren. Nach einer abgebrochenen Buchhändlerlehre arbeitete er als Transportarbeiter und Kranfahrer. Nachdem er aufgrund seiner Aktivität in der Friedensbewegung wegen „Staatsgefährdung“ angeklagt wurde, übersiedelte der Jungkommunist Endler 1955 in die, wie er sagte, „kunstfreundlichere“ DDR. 

Dort studierte er, aufgefordert von Alfred Kurella, am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ in Leipzig und heiratete die Schriftstellerin Jutta Bartus. Er gehörte der Sächsischen Dichterschule an, einer Gruppierung um 1930 geborener Dichter*innen im Umkreis Georg Maurers, aus der bedeutende Vertreter*innen der deutschsprachigen Lyrik hervorgingen, unter anderen Karl Mickel, Volker Braun, Sarah und Rainer Kirsch, Heinz Czechowski, Wolf Biermann und Elke Erb. 

In den 60er und 70er Jahren, er war inzwischen mit Elke Erb verheiratet, veröffentlichte Endler einige Gedichtbände, galt aber als „politisch unzuverlässig“. 1966 gab er gemeinsam mit Wulf Kirsten im Mitteldeutschen Verlag die legendäre Lyrik-Anthologie „In diesem besseren Land“ heraus, die sich nicht, wie der Titel vermuten lässt und von der Obrigkeit gewünscht, als pathetisch, sondern als trotzig-ironisch erwies. 1975 erfolgte bei Wagenbach Endlers erste Westveröffentlichung, der Gedichtband Nackt mit Brille. Obwohl er 1979 aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen worden war, erschien 1981 bei Reclam Leipzig ein unscheinbares Taschenbuch mit dem Titel Akte Endler. Gedichte aus 25 Jahren – Dokument einer gerade noch geduldeten Dissidenz. Anders als das Stuttgarter Haus, das eher die Schätze der Vergangenheit hebt, brachte Reclam in der DDR auch unliebsame Gegenwartsautor*innen heraus. In diesem Zusammenhang ist auch die Wahl des Titels zu verstehen, Endler wurde permanent von den Organen der Staatssicherheit bespitzelt.

Die letzten Jahre der DDR dokumentierte und kommentierte er virtuos in Textmontagen, Gedichten, anekdotischen Berichten und Fiktionen. Adolf Endler gilt als „Vaterfigur für das Künstlerbiotop am Prenzlauer Berg“, das trotz permanenter Überwachung immer weniger kontrollierbar war. Er wechselte häufig die Wohnungen, lebte und arbeitete subversiv. In Ost und West machten damals „junge Wilde“ von sich reden, doch gegen den Endfünfziger aus Ostberlin wirken etliche von ihnen eher bieder. Der Buchtitel Tarzan vom Prenzlauer Berg (1994) ist nicht zufällig zum geflügelten Wort geworden. 

Mit dem Ende der DDR begannen viele ostdeutsche Künstler*innenkarrieren zu versanden. Adolf Endler, der eigensinnige Antikarrierist, der in den 50er Jahren mit der Bundesrepublik und in den 60er Jahren mit der DDR gebrochen hatte, sagte in einem Interview: „Es ist kein von mir geliebtes System, aber in der Bundesrepublik sind die Verhältnisse erträglich, während sie in der DDR letztlich unerträglich waren.“ In diesen erträglichen Verhältnissen konnte er endlich unbehelligt arbeiten.

Gemeinsam mit seiner Ehefrau Brigitte Schreier-Endler leitete er ab 1991 die erfolgreiche Lesungsreihe „Orplid & Co.“ in Berlin Mitte, seine Bücher erschienen in namhaften Verlagen, er erhielt wichtige Literaturpreise, 2001 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und wurde 2005 Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. 

Er schien angekommen, doch seine Literatur war nach wie vor sperrig, experimentierfreudig und eigensinnig. Endler nannte sich „eine der verwachsensten Gurken der neuen Poesie“. Rainer Kirsch bezeichnete einmal als die „vier Eigenschaften der sächsischen Dichterschule […]: Sanguinik, Weltbezug, Handwerksernst und Bestehen auf Vernunft.“ Auf eben diesem Nährboden wucherte bei Adolf Endler zeitlebens ein Sprachdschungel, der analytisch wie poetisch präzise war, der zugleich satirisch, surreal und grotesk bis zur Albernheit sein konnte und immer unberechenbar blieb. Am 2. August 2009 starb er in Berlin.

Von Achim Raven

Dreieck, in dem ich wohnte: Düsseldorf (Auszug, 1957/58)

1.

Papiermühle, Wasserwerk, Henkel,
Dreieck, in dem ich wohnte.
Gelände der Kindheit,
Gelände der vielen Mauern,
der strengen Tore.

Ach, wie seh ich uns noch in der Landschaft,
die klappert und klirrt, die Kinder im Netz der Geräusche, 
Gerüche.
Durch milchweiße Waschmittelwolken fliegen die Kräne.

Ach, wie seh ich uns noch, wir haben Pfeil und Bogen vergessen:
Schrill quiekte fern in den Sägen,
als würde ein Schwein gestochen,
das Holz.
Wir sind auf der Rampe und schieben die Packpapierrollen.

Ich seh uns hocken.
Wir lauschen den Pumpen,
die mächtig stampfen im Rhein.
Der Wassermann kommt wohl gestapft,
hat er sich verirrt?

Papiermühle, Wasserwerk, Henkel,
Dreieck, in dem ich wohne.

Geruch frisch geschnittenen Holzes
– such nicht die Wälder!
Wir kennen den Harztropfen, rot auf geschälten Stämmen.
Wir kennen uns aus im Stahlröhrenwald,
weit verzweigt,
dort pflückten wir Schrauben und Drähte
für unseren Roller.
Wir sprechen von Reisen, die uns die Eltern versprachen, 
immer vertagten:
Vogesen und Alpen, Hunsrück, Odenwald, Taunus.
Wir sitzen am Schlackeweg auf dem Deich,
der seltsamen Namen eifrig nickende Kenner.
(Was tut mir der Abend des Flusses,
erregendes Konzentrat,
der in die Rispengräser der Niederung greift?)

Doch in alle Gerüche fein eingemischt
ist herber Persilduft,
Geruch unsrer Heimat,
Persilduft,
der früh und spät bitter und süß
zäh unsre Sinne reizt.

Papiermühle, Wasserwerk, Henkel,
Dreieck, in dem ich wohne.

Früh, wenn du aufwachst,
immer stehn Schornsteine rot um den Horizont,
weitmaschiger Zaun.
Am Himmel mischt schwarzer Rauch
die Wolken, die Strahlen der Sonne.
Auf dem Fensterblech liegt eine dünne
blaßblaue Persilhaut.

Steig mit der Mutter zum Speicher,
wenn sie die Wäsche hängt,
sieh aus der Luke:
Hinter dem schwelenden Gatter aus Schornsteinen, o!,
steigt lockend die Welt.
Über dem Hallenmeer, grauen erstarrten Wogen,
flimmert hellgrüner Schaum,
Buchen im Benrather Park.

Komme vom Dach
herab in die Küche:
Auf dem Fensterblech
liegt eine dünne
blaßblaue Persilhaut.
Die Mutter sagt:
Dein Husten wird auch nicht besser!

(zitiert nach: Akte Endler. Gedichte aus 30 Jahren. Reclam Verlag, Leipzig 1988.)