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Kolumne

Spaziergang mit Hatscheks

Accents als Zeichentrickfiguren
© Nadine Redlich für Literatur Rheinland

Unser Kolumnist Christian Bartel verschönert sich das linguale Leben mit ein paar Häkchen und Dächlein.

– von Christian Bartel

Bildrechte: © Nadine Redlich für Literatur Rheinland

Hier schreiben im Wechsel Christian Bartel, Juliana Kálnay und Melanie Raabe über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind.

„Entschuldigen Sie“, fragte mich der Mann in einem balkanisch gefärbten Deutsch. „Wo finde ich Lebensmittelgeschäft Basidsch. Ist hier am Bahnhof irgendwo.“

Er lächelte mich erwartungsfroh an, aber ich zuckte mit den Schultern. In unmittelbarer Nähe gab es zwei Supermärkte und einen Biomarkt, aber ein Lebensmittelgeschäft Basidsch war mir bislang nicht aufgefallen. Ich stellte mir ein balkanisches Heimwehgeschäft vor, mit Zwiebelzöpfen, Pogatschen, Ajvar und einer betörenden Auswahl südosteuropäischer Feuergewässer von Rakija bis Sliwowitz.

„Es tut mir leid, ich habe keine Ahnung“, antwortete ich und stellte dann selbst eine Frage, weil mir sein Akzent gut gefiel. Den stimmlosen Hauchlaut im „Bahnhof“ hatte er kratzig zum „Bahnchof“ aufgebürstet, die hellen Vokale in „Entschuldigen“ zu „Äntschuldigän“ abgedunkelt.

Der Mittfünfziger sprach eine schnieke linguistische Maßanfertigung vom jugoslawischem Herrenausstatter, die ihm wie angegossen passte, und davon wollte ich unbedingt mehr hören.

„Was gibt es dort für Lebensmittel?“, fragte ich deswegen, aber diesmal zuckte der Mann mit den Schultern. „Weiß nicht, ist bloß Treffpunkt. Macht nix, ich suche“, schnurrte er in seinem dinarischen Deutsch und stiefelte lächelnd davon.

Eine Antwort erhielt ich erst einige Tage später, als ich zufällig den Biomarkt gleich gegenüber des Bahnhofs passierte. Mir war nie aufgefallen, dass der Laden zu einer Kette gehörte, die sich „Biomarkt Basic“ nannte. Den englischen Begriff für das Wesentliche hatte der slawische Muttersprachler offenbar als Familiennamen interpretiert, der in Kroatien und Bosnien in verschiedensten Schreibweisen verbreitet ist, jedenfalls zählt Wikipedia vom Dirigenten bis zur Handballspielerin zahlreiche Träger dieses Namens auf.

Ich probierte es selbst aus. „Bijomarkt Bašić“ rollte tatsächlich viel schwungvoller über die Zunge als sein dröges angelsächsisch-deutsches Pendant. Erstmals betrat ich den Laden und erstand gleich eine Wagenladung Paprika und Zwiebeln.

„ Wenn man hier und dort etwas ergänzte, konnte man noch das schmuckloseste Deutsch in ein herrlich wucherndes Fantasie-Slawisch umbauen. “

Auch die anderen Geschäfte der Innenstadt hörte ich an diesem Tag mit anderen Ohren. Hatte bisher allein der unverwüstliche Opatija-Grill für westslawisches Gepräge gesorgt, klangen mir plötzlich überall Begriffe und Namen entgegen, die direkt aus Krajna, Wojwodina oder Dalmatien herüberzuwehen schienen.

Wenn man hier und dort ein diakritisches Zeichen ergänzte, kleine Häkchen und Dächlein an die Buchstaben klebte und ein paar Konsonanten umtauschte, konnte man noch das schmuckloseste Deutsch in ein herrlich wucherndes Fantasie-Slawisch umbauen. In der Metzgerei Žults, vormals Schulz, gab es plötzlich nicht mehr nur Debreziner und Schaschlik, sondern plötzlich auch Švajneflajš, Bifštek und Šznycel mit reichlich Hatscheks zu kaufen.

Beim Schnurrbart von Plekszy Gladz! Plötzlich spazierte ich nicht mehr durch meine langweilige Heimatstadt, sondern über einen schmalen Grenzpfad kultureller Aneignung zwischen Syldavien und Bordurien, den Hergé nicht schöner hätte hinzeichnen können. Der Fahrradladen hielt auf einmal Pedelećs statt schnöder Pedelecs feil. Zweifellos hatte man die Elektrogefährte nach dem ungarischen Tüftler György Pedelećs aus Pécs benannt, der schon zu k.u.k-Zeiten an einem Zweirad mit Batterie gebastelt hatte.    

Der bosnische Gastronom Mersad Tonič aus Švépes hatte sich dagegen das berühmte Tonič Wasser patentieren lassen, das in allen Knajpen unseres Karpatenstädtchens traditionell mit Žin gereicht wurde. Für diesen zeichnete wiederum Kellermeister Dušan Žin verantwortlich, der den Wacholderschnaps erstmals 1232 im serbischen Kloster Novi Prost destilliert hatte. Auch Dojće Bank und Aljancs Versicherung konnte ich endlich so balkanisieren, wie sie es längst verdient hatten, den „Kuaför“ an der Ecke hatten die Osmanen ja schon vorbildlich eingemeindet.

„Entschuldigen Sie“, wurde ich bei meiner Sprachreform des neo-balkanischen Einzelhandels gestört, diesmal jedoch im orstansässigen Rheinisch. „Wo finde isch den Jemüseladen Thibault?“

Dass immerhin wusste ich, wenn ich den Laden auch nach französischer Manier„Tie-Bó“ ausgesprochen hätte, aber ich wollte den Fragenden nicht beschämen. Außerdem gefiel mir sein Akzent. „Der ist in der kleinen Chaussee hinter dem Meublehaus“, sagte ich also ebenso freundlich wie schriftbildlich. „Davor steht ein mauver Renault auf dem Trottoir.“

Christian Bartel hört gern Fremdsprachen, die er nicht versteht. Konversationen in unbekannten Sprachen klingen immer so geistreich und witzig.