Textstellen

Heiligtum der Vergeblich­keit

Christian Linker über die BayArena in Leverkusen.

Es riecht nach Kippen, Bier und Bratwurst, nach zu eng sich drängenden Menschen und nach ein klein wenig Hoffnung. Du bist schon wieder da. Wolltest du eigentlich gar nicht. Den Scheiß gibst du dir nicht mehr, hast du vor zwei Wochen gesagt, jetzt ist Schluss, nach 30 Jahren Dauerkarte.

Und nun bist du doch wieder hier, schiebst dich mit den anderen im Schneckentempo auf die Drehkreuze zu. Du kamst schon her, als das Stadion noch keinen Oberrang hatte und der Verein viel geringere Ansprüche; als es noch Haberland-Stadion hieß und nicht BayArena; als der Verein noch ein Verein und keine GmbH war, hundertprozentige Tochter der Bayer-AG.

Der Ordner klopft dich ab. Hättest du wirklich Pyros dabei, er fände sie wohl kaum, aber du hast eh keine dabei, nur ein Fünkchen Hoffnung, dass es heute endlich mal wieder klappt mit den drei Punkten. Du quirlst dich durch das Drehkreuz und zur Bierbude, dann rauf auf die Tribüne, Nordkurve, die Jungs sind schon da, wie seit 30 Jahren. Mit den meisten hast du die Schulbank gedrückt, inzwischen seid ihr alt geworden mit euch und dem Bier und dem Verein. Du könntest natürlich auch Köln-Fan sein (Äffzeh, sagst du verächtlich), einfach nur mit der Straßenbahn über den Rhein rüber, Köln-Fans sind gesellschaftlich akzeptiert. Aber du musstest ja das Neonlicht der Welt in Leverkusen erblicken (damals Städtisches Krankenhaus, heute Klinikum Leverkusen GmbH) und seither nicht aus deiner Haut können. Aber da fällt das Tor, ihr liegt euch in den Armen, eins null für die Werkself. Alles fühlt sich richtig an.

Richtig, dass du hier bist. Dass du an dieser Stadt klebst wie Aktivist*innen an der Autobahn, dass du festklebst und denkst, du hättest keine andere Wahl, könntest dich höchstens schreibend davon lösen, dabei kehrt vor allem dein Schreiben immer wieder dorthin zurück, du Arbeiterkind.

Da fällt schon der Ausgleich. Fuck.

Und die Werkself ist gelähmt, nur noch Unsicherheit nach dem Gegentreffer. In anderer Leute Bücher steht vorne drin: „... lebt in Innsbruck und New York“ oder wenigstens: „... lebt in Berlin“, bei dir immer nur Leverkusen. Aber jetzt reagiert der Trainer: Einwechslung, Systemumstellung, Attacke; alle und alles nach vorne werfen.

Mach es doch zu einer Tugend, Herkunft liegt im Trend, alle schreiben jetzt autofiktional, wieso nicht ein großer Roman über eine kleine Stadt wie diese hier? Es läuft bereits die Nachspielzeit. Und noch mal Ecke für den Bayer.

Abgewehrt ... Konter der anderen ... nein, fuck!

Sie machen das Tor.

Und Abpfiff.

War sowas von klar gewesen.

Die nächste Heimpleite.

So sagt man das. Heimpleite.

Aus so einem Wort könnte man echt viel machen, jetzt so literarisch ...

Aber kein Bock. Jetzt erst recht nicht.

Grußlos geht ihr auseinander, jede und jeder allein mit dem Frust.

Albert Camus hat geschrieben: „Wir müssen uns Bayer Leverkusen-Fans als glückliche Menschen vorstellen.“

Na ja, so sinngemäß.

Und irgendwie stimmt das ja auch. Trotz allem.

Nein, nicht trotz, sondern wegen allem.

Und in zwei Wochen gehst du wieder hin.

Neuer Anlauf.

Immer wieder.

Denn hier sind nun mal deine Musen.

Leverkusen.

Vita

Christian Linker, geboren 1975 in Leverkusen, studierte Theologie und war beruflich in der Kinder- und Jugendpolitik unterwegs, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine vielfach ausgezeichneten Kinderbücher und Jugendromane bergen politische Brisanz oder magische Fantasie – manchmal auch beides zugleich.