Textstellen

61 Meter

Denis Pfabe über den höchsten Punkt der Bonner Innenstadt.

Der Bonner an sich will ja nie wirklich hoch hinaus. Ihm reichen moderate Ziele. Deshalb hier ein ganz besonderer Aussichtspunkt, falls Sie mal in der Stadt sein sollten. Aber Vorsicht, die kleine Plakette ist leicht zu übersehen. Wahrscheinlich kennen selbst die wenigsten Bonner sie. Markiert sie doch einen wichtigen topografischen Standort, ist es dennoch leicht passiert, dass man einfach über sie hinwegläuft. Stellen Sie sich auf die kleine, im Boden zwischen den Pflastersteinen eingelassene Messingplakette in der Acherstraße. Sie befinden sich nun auf dem höchsten Punkt in der Bonner Innenstadt! Leider kann man den Blick nicht richtig schweifen lassen, da die Acherstraße bloß eine krumme, gewundene Gasse ist, die den Remigiusplatz mit dem Münsterplatz verbindet. Dennoch: Wenn Sie mal in der Stadt sein sollten, stellen sie sich dort auf diesen Punkt, er kann einem Bonn mit einem Blick vermitteln. Man muss nur genau hinsehen.

Es ist bloß ein kleiner, kaum wahrnehmbarer Anstieg. Hinter dem Karstadtgebäude führt die kleine Gasse zu diesem höchsten Punkt über Normalhöhennull. (Es sind exakt 61,69 Meter.) Die Gasse erinnert stark an die schmalen Straßen draußen in den kleinen Dörfern, nur wenige Fahrradminuten raus über die Felder. Diese Vororte mit ihren alten Häusern, die wie hingewürfelt dastehen und zwischen denen erst spät Durchgangsstraßen gebaut wurden. Die Straßen wurde mit der Zeit alle modernisiert, mit fortschrittlichen, bepflanzten Fahrbahnteilern und Radwegmarkierungen. Doch ragen die Häuserecken oft auf den Gehweg und brechen diese moderne Gradlinigkeit. Genau das ist Bonn.

Stellen Sie sich also auf folgende Koordinaten und halten Ausschau: 50°44'06.8"N und 7°06'02.3"E. Beobachten Sie, wie sich bei Metzger Werner die Schlangen vor der Auslagentheke bildet, wenn die Chefin ihre handgeschriebenen Schilder mit dem Mittagsangebot ins Fenster stellt. Hier treffen Geschäftsleute im Anzug auf Rentner und Schulkinder, und alle stehen brav in der Schlange, die bis raus auf die Gasse reicht. Keine zehn Schritte weiter gibt es die vegane Alternative mit Tofu, Fruchtsäften und Co. (meist mit ein bisschen weniger Andrang). Die Bonner üben ja noch ein wenig im Modernsein. Das ließ sich auch in den vergangenen Jahren in der Acherstraße und den dort ansässigen Händlern ablesen. In der Gasse gab es zuletzt ein Fachgeschäft für Gothic-Bekleidung, ein Musikhaus, Geschäfte für Kinderschuhe und teure Koffer, einen sehr hippen Friseur, dann wieder eine neue Boutique für moderne Männermode und schließlich zog sogar der Titus-Skateshop aus dem Untergeschoss bei Karstadt in sein eigenes großes Ladenlokal neben Metzger Werner. Viele Trends kamen und gingen. Manche blieben, und zwischendrin befinden sich noch immer Juweliere und Optiker, bei denen schon meine Eltern vor fünfundzwanzig Jahren Kunden waren.

Lassen sie das alles auf sich wirken! Sie stehen am höchsten Punkt in der Bonner Innenstadt. Sie stehen quasi – ganz typisch für die Bonner – ein wenig über den Dingen. (Bloß knappe sechs Meter im Verhältnis zur restlichen Stadt, aber immerhin!) Atmen Sie tief ein, nehmen die Atmosphäre auf – es ist nicht viel, nicht wirklich hoch und nichts Weltbewegendes. Aber dennoch: ganz nett. Bonn halt.

Vita

Denis Pfabe, geboren 1986 in Bonn, ist gelernter Kaufmann im Einzelhandel und studierte Medienkommunikation und Journalismus in Köln. Er ist Absolvent der Bayerischen Akademie des Schreibens, war Stipendiat der Autorenwerkstatt Prosa am Literarischen Colloquium Berlin und erhielt das Arbeitsstipendium der Kunststiftung NRW. Denis Pfabe lebt in Bonn und fährt drei Tage die Woche Gabelstapler in einem Baumarkt.