Textstellen

Zwillings­zeichen

Lars Brandt über die Landschaftsskulptur „Standortmitte“ an der A555.

Manche Leute stecken Nadeln in die Karte, Lutz Fritsch steckt sie ins Land. Köln und Bonn sind links des Rheins durch eine Autobahn verbunden. Sie endet in Verteilerkreisen, die den Verkehrsstrom sternförmig in die verschiedenen Stadtbereiche weiterleiten. In der Mitte beider Kreise ragen unübersehbare Stelen in die Höhe, markieren diese Punkte in der Landschaft und in den Köpfen, poetisieren die Strecke dazwischen und das, was sie an Bewegung, Austausch, Zusammenhang bedeutet. Turmhohe Antennen, auf Empfang gestellt für das ganze Durcheinander der Signale des Lebens um sie herum, und zugleich Sendemasten, die darauf mit Signalen der Kunst antworten. Auf dem Weg zur Autobahn oder von ihr kommend, kreist der Verkehr um die Rondelle, die in diesem Getriebe als grasbewachsenes rundes Nichts öde daliegen und bis auf einige Bäume ohne Leben sind, falls sich nicht zufällig gerade die Gaukler dorthin verirrt haben, um durch die Luft geworfene Bälle gegen ein paar aus dem Autofenster gereichte Münzen zu tauschen. Erst die beiden roten Säulen machen diese gesichtslosen Flecken zu Orten, die ohne sie nicht als solche identifiziert und wahrgenommen wurden.

Während so etwas wie wirkliches Leben und reale Öffentlichkeit in den Zentren der Städte zwischen den Mühlsteinen Tourismus und Internet zu Staub zerrieben wird, markieren die beiden Signaltürme an den Enden der Autobahn lebendige Wirklichkeit in den unbeachteten Zonen nüchterner Geschäftigkeit. Dort auf den beiden Verteilerkreisen entwickelt die Skulptur als doppeltes neues Stadttor ihre Poetik: zwei knallrote Striche von der Erde zum Himmel, 50 Meter hoch, 90 Zentimeter breit, dazwischen 22,5 Kilometer Autobahn. Mit sensibler Präzision in Form und Position hebt sich Fritschs minimalistisches Werk von dem ab, was viele öffentlichen Bereiche, auch die kleine Bonner Innenstadt, immer mehr wie Vitrinen voller Nippes erscheinen lässt.

Und zugleich markieren die beiden Stelen zwei Stationen des Verkehrs auf der imaginären Rheinschiene der Kunst, an der entlang nach dem Ende der Barbarei seit Mitte des letzten Jahrhunderts neue Kunst geschaffen, gesehen und geschätzt wurde wie nirgends sonst in Deutschland. Kölns herausragende Bedeutung im internationalen Kunstleben ist allenthalben bekannt. Bonns Rolle war anders beschaffen. Im Nebel des politischen Betriebs, der Bonn bis zur deutschen Wiedervereinigung auszufüllen schien, wurde sein intimes Verhältnis zur künstlerischen Avantgarde nur von Eingeweihten wahrgenommen. Außerhalb des engen Blickfelds der Politik und ihres journalistischen Umfelds führte die Stadt ein zweites Leben mit der Kunst, das prägend für ihr Selbstverständnis wurde.

Die riesigen Nadeln überragen beide Städte und identifizieren das Rheinland auf der Landkarte des Geistes als Kulturzone in der Mitte Europas und im Westen des Landes. Feines Gespür für die Gegebenheiten des Ortes, seine physischen und geistigen Strukturen, zeichnet die Skulptur „Standortmitte“ aus. In klarer Schönheit würdigt sie einen ebenso intensiv genutzten wie unbeachteten Raum der Lebensrealität und demonstriert die mögliche Bedeutung aktueller Kunst im Dasein der Menschen.

Vita

Lars Brandt, 1951 in Berlin geboren, ist Filmemacher, bildender Künstler und Autor. Er lebt und arbeitet in Bonn.