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Pink stinks

Sabine Trinkaus über den Frankenbadplatz und die Kirschblüte in der Bonner Altstadt.

„Bald nach Ausbruch der Dämmerung kann der Platz von anständigen Menschen nicht mehr passiert werden, die Bänke sind von zweifelhaften Pärchen, von arbeits- und lichtscheuem Gesindel und dergleichen belagert.“
Beschwerden von anliegenden Unternehmern über den Frankenbadplatz (damals Adolfplatz) in Bonn in den 1920er Jahren.

Hier auf dem Platz ist es gut, besser jedenfalls. Eher spärlich das Grün, der winzige Spielplatz leer, nur die Wasserfontänen plätschern unangenehm gut gelaunt, obwohl erst April ist, kühl für die Jahreszeit. Grau, das brauchst du jetzt, Waschbeton. Du seufzt erleichtert, während ich Kaffee vom Café-Roller hole. Auch erleichtert, weil du jetzt in Sicherheit bist, vorerst jedenfalls.
Ich reiche dir den Becher. Du bedankst dich nicht, aber das ist okay.

„Ich kann nicht mehr“, sagst du stattdessen.

„Ich weiß“, sage ich. Aber du musst, denke ich, so wie wir alle, alle Jahre wieder, eine Woche oder zwei, es ist doch nicht für immer.

„Ist da Zucker drin?“ Du starrst angewidert auf deinen Becher.

„Natürlich nicht.“ Ich weiß doch, dass du mit süß nicht kannst. Du bist eher der herbe Typ mit leichter Neigung zum Bitteren, zwischendurch auch mal sauer, so wie jetzt. „Es schmeckt süß!“ Du schaust mich wütend an. „Und es riecht süß!“

Kein gutes Zeichen – Beeinträchtigung von Geschmacks- und Geruchssinn. Psychosomatisch in deinem Fall, hysterisch hätte man früher gesagt, es geht dir halt wirklich dreckig. Weil es wieder so weit ist, weil etwas nicht stimmt mit deiner Welt, unserer Welt, nur ein paar hundert Meter entfernt. Breite Straße, Heerstraße, überall in der Altstadt ist es fremd und falsch. Das macht dich fertig, jedes Jahr, immer dasselbe, denke ich ein bisschen ungeduldig, und darum sage ich: „Es lässt sich nicht ändern. Es ist halt Natur.“

„Natur?“, brüllst du, quer über den Platz, sodass sich Köpfe in unserer Richtung wenden. Kurz nur, denn hier darf man auch mal was brüllen, das ist okay. „Das hat nichts mit Natur zu tun“, empörst du dich weiter. „Das sind doch alles Züchtungen, kranke Züchtungen aus irgendeinem Labor.“

Mein Nacken verkrampft sich. Ich kann mit herb und bitter und sauer, aber das grenzt an Verschwörungstheorie.

„Japanische Nelkenkirsche!“ Du starrst mich böse an. „Merkste selbst, oder?“ Du stöhnst leise. „Es wäre halb so schlimm, wenn die Menschen nicht wären!“

Es wäre sogar schön, wenn die Menschen nicht wären, denke ich, aber das sage ich natürlich nicht, obwohl es stimmt. Aber das ist egal, denn sie sind ja da. Jedes Jahr kommen mehr Menschen, fein herausgeputzt, gepflegt und luftig gekleidet, auch wenn es kühl ist für die Jahreszeit. Schöne Menschen, golden glänzend, flirrend und flatternd und flanierend, und sogar die, die genauso scheiße aussehen wie du und ich hantieren mit den Kameras, den Handys, den Selfie-Sticks, machen Bilder, Hunderte, Aberhunderte, Tausende, Millionen, unzählige Bilder, alle gleich, alle überall, auf Facebook und Twitter und Insta und Flickr und Pinterest, ein gigantischer Alptraum in ...

„Rosa“, murmelst du und starrst voller Ekel auf deinen Kaffee. „Der schmeckt rosa. Der riecht rosa!“ Jetzt brüllst du wieder. „Weißt du eigentlich, wie sehr ich Rosa hasse?“ Du schleuderst den Kaffee auf den Boden.

Das weiß ich. Darum sind wir ja hier. In der blütenfreien Zone des Platzes, wo es erfrischend grau ist, ein bisschen angeranzt, erholsam ungefällig.

Ich hebe deinen Becher auf und werfe dem jungen Mann vom Café-Roller einen entschuldigenden Blick zu, bevor ich den Platz überquere, den Kiosk betrete. Ich kaufe das bitterste Bier im Angebot. Ich reiche dir die Flasche. Du bedankst dich nicht, aber das ist okay.

Dann sitzen wir da und trinken, und du geiferst giftige Galle über Kirschen und Blüten und Nelken und Menschen und Selfie-Sticks, bis sie langsam versiegt, bis sich auch der Pfandsammler wieder in unsere Nähe traut. Bis die Dämmerung fällt, auf uns und den Platz und die Altstadt, und langsam das Rosa der Blüten grau färbt. Wir sitzen da, und aus kühl für die Jahreszeit wird langsam kalt. Und als dann schließlich die erste Ratte über den Platz huscht, lächelst du tatsächlich.

Jetzt ist deine Welt wieder in Ordnung, du bist gerettet. Bis morgen jedenfalls, aber dann kommen wir wieder her, alle Jahre wieder, eine Woche oder zwei, es ist ja nicht für immer.

Vita

Sabine Trinkaus, geboren in Hessen, aufgewachsen im hohen Norden, Studium im Rheinland, wo sie nach internationalen Lehr- und Wanderjahren sesshaft und heimisch wurde. Neben zahlreichen Kurzgeschichten veröffentlichte sie bislang vier Kriminalromane und zwei Psychothriller. Sie lebt in Alfter bei Bonn.