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Panzer­waschanlage

Angela Steidele über die Wahner Heide.

Der Sandweg schlängelt sich unter Kiefern weiter, doch das Schild ist eindeutig.

Pst! Ruhezone! Bitte nicht betreten!

Ich gehe weiter und gelange zu einem hohen Maschendrahtzaun. Freier Blick auf den Tower und die Terminals des Flughafens Köln/Bonn. Hobbyfotografen stehen in der Fluchtlinie der Landebahn. Ein ankommendes Flugzeug erkennt man schon Minuten vor der Landung an seinen Scheinwerfern, auch am Tag. Dramatisch nähert es sich, wird größer und größer, lauter und lauter, und dröhnt schließlich dicht über unsere Köpfe hinweg, um Sekunden später aufzusetzen. Ein Heidenlärm in Wahn.

Von hier, dem früheren Paradeplatz, kann man entlang des stark gefährdeten Federschwingel-Rasens zu den Pionierübungsbecken spazieren und zum Kurtenwaldbach, der durch streng geschützten Erlenauwald fließt. Oder man kreuzt die „Panzerstraße“ und geht über Sandwege neben seltenem Kreuzblümchen-Borstgrasrasen zum Weiler Stephansheide. Wo heute elternlose Kinder betreut werden, mussten früher polnische und russische Kriegsgefangene Zwangsarbeit leisten. Nächst ihrem Friedhof picknicken Familien in der Sonne oder im lichten Schatten des Eichenhudewalds. Die Brandschneise „November“ führt schnurgerade weiter durch Torfmoos-Erlenbruch, stark gefährdeten Moorwald, in dem die vielleicht letzten Exemplare des Torfmoos-Knabenkrauts wachsen. An der Querwindbahn des Flughafens vorbei gelangt man auf eine Anhöhe, auf der bis vor wenigen Jahren das belgische „Camp Altenrath“ lag. Die Baracken der Soldaten, die in den 1960er Jahren Atomwaffen hüteten, wurden eingeebnet. Geblieben ist nur die Panzerwaschanlage. Kinder hüpfen über die gewaltigen Eisenrippen. Im Abwassergraben lebt der Südliche Wasserschlauch, eine seltene fleischfressende Unterwasserpflanze. In den tief ausgefahrenen Mulden der Panzerpiste halten sich Pfützen gerade lange genug, um Sumpfquendel, Rüsselkäfer, Knorpelmieren-Gesellschaften und dem Echten Kiemenfuß, einem Krebs, das Überleben zu ermöglichen. Auf dem Damm der ehemaligen Feldbahn erreicht man die südliche Seite des Flughafens und die Dünen beim Telegraphenberg. Feiner geht es sich auch auf Amrum nicht im Sand.

Früher weideten hier die Nutztiere der umliegenden Dörfer; der Verbiss ließ auf den nährstoffarmen Rheinablagerungen die Heide entstehen. Auf den sandigen Freiflächen übten die Preußen ab 1818 schießen. Seitdem ist die Wahner Heide militärisches Gelände. Die Nationalsozialisten legten einen Fliegerhorst an, den die Briten 1945 ausbauten. Bürgerprotest trotzte den belgischen Truppen 1978 Zugang ins Naturschutzgebiet ab, zumindest am Wochenende. Erst 2004 fielen die meisten Einschränkungen, auch wenn sich die Bundeswehr noch einige Flächen vorbehält.

Vom Flughafen als Ausgleichsmaßnahme finanzierte Ziegen, Esel, Wasserbüffel und Glanrinder halten die Heide heute von Bewuchs frei. Nicht immer trifft man sie in dem großen Gelände an. Stets zu sehen und zu hören sind dagegen die Flugzeuge. Passagier- und Frachtmaschinen, zivil und militärisch, Tag und Nacht. Menschen in den Flugschneisen leiden. Schwarzkehlchen, Mittelspecht, Ziegenmelker, Heidekrauteulchen, Tatzenkäfer, Ampfer-Grünwidderchen, Berg-Sandglöckchen, Sumpfschrecke gedeihen in der unnatürlichen Natur, wie sie nur Nordrhein-Westfalen zu bieten hat. Wahnsinn.

Vita

Angela Steidele, geboren 1968 im badischen Bruchsal, schreibt, singt und gärtnert seit 1997 in Köln. Wie konnte das nur passieren?