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Krefeld, 1973

Ulrich Peltzer über ein unvergessliches Festivalwochenende in der Rheinlandhalle.

Inga Rumpf gefiel mir am besten. Da waren noch Triumvirat und Embryo, Franz K. und Wallenstein, und, glaube ich, auch Hardin & York. Es gab kaum Umbaupausen, weil man zwei Bühnen installiert hatte … ein Samstag und ein Sonntag in der Rheinlandhalle, mehr als ein Dutzend Bands, das Ereignis des Jahres.

Die beiden Festivals zuvor waren nur über einen Tag gegangen, in der Viehauktionshalle schräg gegenüber, dahinter fing das platte Land an.

Eishockey wurde hier sonst gespielt, Tribünen mit Holzbänken, eine nackte Betonfläche … Holiday on Ice.

Can waren einmal in Krefeld aufgetreten, ich hatte sie verpasst, weil ich kein Geld für den Eintritt hatte. In der Aula der Maria-Sibylla-Merian-Schule … in einer Schulaula? Der Titelsong, den sie für eine Tatortfolge geschrieben hatten, hieß „Spoon“, den kannte jeder, sensationell.

Nicht wenige hatten sich Proviant und Getränke mitgebracht, ein paar Tausend Leute, Wein aus Literflaschen, in der Luft hingen Rauchschwaden. Afghane und Libanese, durchmischt mit dem Geruch von Ständen, wo Pommes Frites und Bier verkauft wurden. Selbst gedrehte Zigaretten, Van Nelle oder Schwarzer Krauser.

Ich war nicht allein, ich traf Mitschüler, Bekannte aus der Taverna Zorbas. Mit wem war ich unterwegs?

Die Band, in der Inga Rumpf sang, hieß nicht mehr Frumpy, der Name liegt mir auf der Zunge. Ich vermute, sie war an diesem Wochenende die einzige Frau, die auftrat. Ihre heisere Stimme erinnerte mich an Maggie Bell, die ich zuerst im Beat Club in Willich gesehen hatte. Mochte ich sehr, Stone the Crows.

Am späten Abend des ersten Tages erhob sich ein gewaltiges Pfeifkonzert, als über Lautsprecher verkündet wurde, dass man die Halle für die Nacht zu verlassen habe, am nächsten Morgen um elf ginge es weiter. Ich bin mit dem Fahrrad nach Hause gefahren, ausschlafen, vielleicht ausnüchtern.

Was noch? Guru Guru natürlich, mit Mani Neumeier, der damals schon eine Legende war. Irgendwie psychedelischer Jazz, die Menge geriet schwer in Bewegung, mein Geschmack war das eher nicht. Nicht cool genug, würde ich heute sagen, die Landkommunenfraktion. Während ich von Amerika träumte … „Brennpunkt Brooklyn“. Wo ich vierzig Jahre später bei einem Konzert von Florence + the Machine war, in dem gewaltigen Hohlraum am Ende der Manhattan Bridge. Eintritt frei, die Stadt hatte das gesponsert.

Dazwischen liegt einiges. Wohnungen, Grenzkontrollen, Hotels. The Clash und Conor Oberst. Das Video von Low zu „Especially Me“, das mich zum Schmelzen gebracht hat. Was aber eine andere Geschichte ist.

Und diese hier? Löst sich in meiner Erinnerung auf wie das Festival, am nächsten Tag wieder in die Schule. Nicht mehr lange, dachte man, und es würde losgehen. Als sei das Warten dann vorbei … aufs Leben?

Atlantis hieß die Band, das sagt mir das Netz. Inga Rumpf und Atlantis waren für mich der Höhepunkt an diesem Wochenende. Ob ich mir je eine Platte von ihnen gekauft habe? Ich glaube nicht.

Vita

Ulrich Peltzer, geboren 1956 in Krefeld und dort aufgewachsen, lebt als freier Schriftsteller in Berlin und Köln. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. 2003 mit dem Bremer Literaturpreis und 2011 mit dem Heinrich-Böll-Preis.