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Hennef? Kenn‘ ich nicht!

Britta Sabbag über den Umzug aufs Land.

„Hennef?“, fragte ich, als mein Makler mir von dem soeben eingetroffenen Grundstück inklusive Landhaus berichtete, das er mir zeigen wolle. „Kenn‘ ich nicht!“

Eine dämmernde Ahnung von dem Ort, der mein ganzes Leben verändern würde, hatte ich zwar schon: Ich war sicher mal durchgefahren. Oder hatte von irgendwem gehört, dass derjenige mal durchgefahren war. Oder jemanden kannte, der mal das Ortsschild passiert hatte. Das zweite, das ich meinem Makler antwortete, war: „Da fahr‘ ich nicht hin!“

Bei diesen Worten erinnere ich mich im Rückblick an meinen ersten Urlaub in New York. Ich hatte von einem tollen Outlet in Brooklyn gehört und gab dem Taxifahrer die Adresse. „Brooklyn? Ich überquere diese Brücke niemals!“, waren seine entsetzten Worte.

Ziemlich entrüstet war ich damals Bus gefahren. Und bei dem Telefonat mit dem Makler war ich nun der Taxifahrer.

„Komm, wir machen einfach einen Landausflug!“, schlug mein Partner vor.

Klar, es war Samstag, da kann man so etwas als gestresster Städter schon mal machen. Wobei „gestresst“ vielleicht etwas übertrieben klingt. In Bonn zu wohnen hatte ich immer geliebt, weil kaum eine Stadt so dörflich wirkt und dennoch alles bietet.

„Na gut, machen wir eine Landpartie.“

Ich war alles andere als motiviert. „Aber nur auf einen Kaffee! Wenn‘s da überhaupt Cafés gibt!“

Mit den Cafés lag ich tatsächlich gar nicht so falsch. Mit dem Rest schon.

Der Weg führte uns bis ans Ende der Autobahn, immer weiter geradeaus. Eine lange Baumallee führte in den kleinen Ort, dessen Name ich nie zuvor gehört hatte. Wir hielten an der vorgegebenen Adresse und mein Blick fiel auf ein prachtvolles Fachwerkhaus. An so etwas hatte ich nie gedacht, war ich doch meiner Meinung nach eher der coole Stadthaus-Typ. Doch als mein Fuß den Boden berührte, geschah etwas. Ich lächelte. Mein ganzes Gesicht lächelte. Ich kann mich noch ganz genau erinnern, wie mein Körper ein erleichtertes „Haaach!“ von sich zu geben schien, als wäre er irgendwo angekommen, wo er schon immer hätte sein sollen.

„Hier entlang“, gab uns der Makler nach der Begrüßung vor. „Wir gehen über den Garten rein, dann haben Sie direkt den schönen Blick!“

Wir folgten ihm hinter das Haus, und die Aussicht, die sich nun vor uns auftat, war atemberaubend. Der Garten des Hauses endete an einem Feld, das wiederum an ein Waldgebiet grenzte. Eine riesige Trauerweide und einige andere ältere Bäume umsäumten das Hausgrundstück, wie grüne Bewacher. Die Luft schien hier frischer und klarer zu sein, als ich es kannte. Vor allem schien es generell „mehr“ Luft zu geben. Ich atmete tief ein.

„Hier will ich sein“, seufzte ich.

Nicht „wohnen“ oder „leben“.

Nein, ich sagte sein.

Und genau das ist es, was den Unterschied macht.

Keine zehn Minuten später erklärte ich dem Makler, dass wir das Haus kaufen würden, und weitere fünf Minuten später gaben wir uns mit den Besitzern den Handschlag darauf.

Die Mär von der Landluft und vom wunderbaren Landleben und dem weiten Blick ist deswegen ein so hartnäckiger Lebenstraum, weil der Körper sich in so einer Umgebung sofort bemerkbar macht. Ich hatte kein Haus gesucht, sondern einen Ort zum Sein. Und den hatte ich gefunden. Die Stadt mit allen ihren Vorzügen zu verlassen fiel mir nur die wenigen Minuten schwer, in dem die Klappe des Umzugswagens in Zeitlupe zuging und ich nicht fassen konnte, keine Bonnerin mehr zu sein.

Doch spätestens auf der grünen Baumallee wusste ich, wonach sich mein ganzes Ich sehnte: einfach zu sein.

Und das tue ich seit nun drei Jahren.

Und eines habe ich gelernt: Manchmal muss man unliebsame Brücken überqueren, um anzukommen.

Ob Hennef oder Brooklyn: Geben Sie sich einen Ruck. Vielleicht sind Sie nur eine Brücke entfernt vom Sein.

Vita

Britta Sabbag, geboren 1978 in Osnabrück, kam mit elf Jahren vom Norden in das Rheinland und erlitt einen mittelschweren Kulturschock. Mittlerweile spricht sie selbst rheinländisch und trinkt Kölsch, da half auch das Studium der Sprachwissenschaften, Psychologie und Pädagogik an der Uni Bonn nicht. Nach dem Abschluss arbeitete sie sieben Jahre in der Wirtschaft, bevor sie 2012 mit ihrem ersten Roman einen Bestseller landete. Über 50 weitere Romane, Jugend-, Kinder- und Bilderbücher, unter ihnen zahlreiche Bestseller, folgten. Sie lebt mit ihrem Partner und dem gemeinsamen Sohn in einem Landhaus, wo die Ideen an den Bäumen hängen und muss sicher 100 Jahre alt werden, um alle zu pflücken.