Textstellen

Flusstausend­meter 744

Frank Schablewski über den Rhein in Düsseldorf.

Das Leben am Fluss erhellt meine Lebenslinie. Es scheint, dass die Gesamtheit der Punkte der Landschaft dieser Stadt ein Bild in mir, viel älter als ich selbst, widerspiegelt, geradezu magnetisch wirkt, das wie der Verlauf dieses Flusses eine Kraft entschlüsselt, entfesselt ins Ungebundene, wie es nur Wasser sein kann. Diese Stadt richtet sich nach dem Wasser. Auf den Straßen liegen Autos in der zweiten Reihe wie Steine, die das Wasser aus der Uferböschung riss.

Im Rücken der Mariensäule stehen Rosensträucher ohne Blüten. Es drehen sich keine Blätter im Winter. Kein Rot blutet aus, nur der Flügelschlag der Tauben, Möwen, Krähen misst die Zeit, ruft sie aus. Steine legen sich in Reihen zu einem Weg gegen einen Uhrzeigersinn durch die kleine Zone eines nicht zerbombten Straßenbilds. Die kupierten Platanen boxen gegen den Wind. Nur hier in der Bäckergasse oder der Zollstraße wirkt die Promenade wie der Spazierweg an einem Meer. Der Fluss öffnet den Himmel zu seiner eigentlichen Größe. Die Seile der Fahnen schlagen im Wind an. Die wenigen maskierten Menschen haben nichts zu feiern, überstehen scheint jetzt alles. Die Baustellen hacken das Echo eines Schlages in die Menschleere. Es ist das hohle, klangreiche Echo eines Brückengewölbes. Dahinter macht sich der Fluss breit, wie die Stadt wächst er im Winter. Der Fluss wie die Zeit fließt weiter, ungeachtet der Bäume, die grünen oder fallen, oder Häuser oder Menschen. Das lebendige Vergnügen der lauten Musik erfasst mich, ob ich will oder nicht. Die vollendete Stille des Wassers mit der dennoch gerichteten Strömung hält als Bild dagegen in der Gangart des Träumers als entzauberter Zeuge der bebauten Ufer. Die Schafe treten die Grünzonen fest, halten die Grasdecke kurz, die Anwandlungen von Dickicht. So hat der Fluss auch auf dieser Seite eine Wildheit, die nicht verschont wird. Der Fluss ist dem Vergnügen und der Arbeit ausgesetzt, der Lärm des Alltags erlischt nicht. Die Stille zerreißt leicht auf dem Wasser, den Straßen, den Wegen in der Luft. Hier biegt sich der Fluss und mit ihm die ganze Stadt. Meine Aufmerksamkeit schweift ab und mein Blick zerstreut sich im Kies vor dem Wasserspiegel, der nach einem Meter seine Klarheit verliert und eine lehmige Farbe annimmt. Es sind zarte Wellen, die der Fluss ans Ufer spült, wenn nicht die stumpfe Furche eines Lastschiffes, die Wellen unruhig übereinanderschlägt für eine kurze Zeit. Für einen Augenblick Unbehagen und Bezauberung, auch für die Wirkung, die man nicht sieht, die Lautstärke unter Wasser. Der Schaum knistert im Rücklauf der Wellen. Es ist die stehende Zeit eines Nachmittags, der Wasserstand, der wie die Zeiger seiner Uhr unbeweglich scheint. Die Brücken sind unbeherrschte Saiteninstrumente, über die nur Wind streicht. Ihre Bögen überspannen die Ufer mit den Lauten fließenden Verkehrs. Die Geräusche wandern über das Wasser, eintönig, unversieglich. Die angehaltenen Zweige der Bäume, die niemand vor- oder zurückstellt, lassen sie durch.

Vita

Frank Schablewski, geboren 1965 in Hannover, lebt als freier Schriftsteller – wenn nicht woanders – seit 1984 in Düsseldorf. Er schreibt Lyrik und Prosa.  Seine Werke erscheinen im Aachener Rimbaud Verlag.