Textstellen

Eruption

Sven Spaltner über den Kölner Kalkberg.

Betreten stehen wir vor einem BETRETEN VERBOTEN Schild, bevor wir den Zaun eintreten und sich der Boden unter unseren Füßen verliert. Der Berg liegt in der Landschaft wie ein mikrowellenwarmes Stück Lasagne; an seinem Fuß hat man einen Lidl als goldenes Kalb errichtet. Wir konzentrieren uns auf die Bewegungen, besteigen schweigend. Wo bei jedem Schritt der Grund unter den Füßen nachgeben könnte, da gibt auch die Sprache nach, wenn auf das falsche Wort gesetzt wird.

In der Nacht hat der Boden noch standgehalten, er drückte feste gegen meine Schläfe. Er rauchte eine Zigarette, entzündete sich [...] bei besonders heißen Sommern selbst, drückte sie später am Deponiekörper aus, hinterließ Krater auf der Haut, insbesondere an der Nordwestflanke. Wo warst du? Ich habe an Berge gedacht, Alpträume gehabt, lag wach in der Landschaft. Das Gelände kennt keine Straßen oder Viertel, es kennt nur Koordinaten auf einem Bildschirm, eine vereinbarte Uhrzeit und verstohlene Blicke.

Unter uns stapeln sich die Produktionsrückstände der Fabrik, die Fortschritt verspricht, zu einer schönen Geschichte, die sich nicht an Vorschriften aufhält. Hell wird es an den grundwassernahen Horizonten, die Tage haben hier Anbruchkanten. Auch die Sprache liegt hier brach, wo der Berg aus Brüchen besteht. Aber man sieht sie ja nicht, man sieht nur das Gras, die Karden und den Hasenkot.

Die Karde ist hier Königin, sie zeigt die Jahreszeit mit dem Blütenstand an. Später waren die rauen Kleider voller Zecken, die Körper auch, unter der Dusche zupfte ich sie von der Haut, sie hatten in ihr gewurzelt. Weberkarden lieben kalkreichen Boden, die Geschichte ist Teil ihres Organismus, wie ein Ohr ragen sie in den Ort; ich kann nur darüber lesen, mich darauflegen, ich werde nicht hineinsinken. Mein Gewicht ist bedeutend geringer als das eines Hubschraubers.

Die Bürger*innen und das Berginnere erinnerten uns an die Probleme der miserablen Standfestigkeit: Diese Alpen aus Altlasten sind keine Atlanten, die halten nicht stand.“ Sie attestierten dem Kalkberg „unkalkulierbare Risiken“, die als Risse und bald als Abrisse in den Beton ragten, wagten auch keine Aussage über den Baumbestand. Ein Stiefel drückt meinen Kopf zu dem Geld in den Sand.

Nun findet ein Weberaufstand statt, besagtes Baummaterial wurde abgesägt, die Fellatio, nein Fällaktion fand bei Nacht und Nebel statt, nur das Baumaterial bleibt kahl zurück. Die Bürger sind sauer, der Berg auch. Auf dem gescheiterten Haufen wird mit der beauftragten Abtragung der Aufschüttung angefangen: man kann nicht auf der o. g. Kippe landen. Egal ob er ein- oder ausbricht, der Berg lädt nicht zum Verweilen ein, wir enteilen dem Brei.

Sie verlassen nun das Gelände, der Text ist hier zu Ende.

Alle kursiven Textteile sind zitiert aus: Fritz Bilz: Die Geschichte des Kalkbergs – der Brei wird niemals fest. ‎Edition Kalk, Köln 2022. Der Autor dankt Fritz Bilz für sein Einverständnis.

Vita

Sven Spaltner, geboren 2000, wuchs in Herzogenrath auf und studiert seit 2017 Kunstgeschichte, Germanistik und Komparatistik in Köln. 2020 war er Jahresgewinner des lyrix-Bundeswettbewerbs für junge Lyrik und wurde zum Treffen junger Autor*innen eingeladen. 2021 war er zum zweiten Mal Preisträger in der Nachwuchskategorie des Wettbewerbs postpoetry.NRW. Er veröffentlichte in Wettbewerbsanthologien und in der Literaturzeitschrift „schliff“.