Textstellen

Du Feld

Markus Orths über eine Kindheit in Viersen.

Es liegt da. Wie ein müder, ausgestreckter, flacher Körper. Es lädt ein. Zum Betreten. Obwohl es verboten ist. Weil es verbo­ten ist. Frisch gepflügt klebt sein braunschwarzer Dreck in den Rillen unserer Sohlen. Es schmutzt, es bröckelt, wenn wir ins Haus gehen. Seid ihr wieder auf dem Feld gewesen?

Das Feld ist da. Es duldet uns. Kleine Fliegenbeine. Das Feld ist eine Welt neben der wirklichen Welt. Eine Welt aus Erde und Steinen und Stöckchen und Pflanzenresten und Wurzelfäden und leicht nachgebender Oberfläche. Das Feld hat Tiefe. Wir wissen nicht, wohin es uns führte, würden wir graben.

Das Feld ist mehr als Spielplatz. Das Feld ist Heimat. Ist Teil davon. Das Feld gibt Stoppeln für die ersten Schlachten unseres Lebens, Stoppelschlachten, und warum man immer kämpfen muss, von Anfang an: Wer gegen wen? Grundton dieses Daseins als Kind. Gegner, Feinde, Mannschaften. Es gibt so viele Worte.

Das Feld duldet alles. Es schickt uns Ruhe in die Füße. Das Feld ist einfach da. Das Feld hält aus. Das Feld hält uns aus.

Das Feld setzt den Weg. Entlang seiner Schwärze gehen wir. Der Feldweg führt zum Tunnel. Zum stockdunklen Tunnel. Ein Rinnsal in der Mitte. Gestank überall. Der Hund, der scharf bellt. Er soll ein Schäferhund sein. Dort. Beim Schrottplatz. Scharfe Zähne. Mut­proben dauern nicht lange. Wir laufen rasch zum Feld zurück. Wir werfen uns dem Feld in die offenen Arme.

Ist es gemäht worden, liegt das Feld flacher als sonst, der Äh­ren beraubt, wir bauen aus Strohbal­len Zäune, Mauern, Wälle. Das Stroh bleibt nicht lange. Der Bauer holt es rasch ein. Wir würden es sonst zerfleddern, Kinder, Wesen, die Zerstö­rung lieben.

Uns bleiben die Stoppeln. Für die Schlachten. Wir packen die Strünke mit unseren Händchen. Wir ziehen, wir fühlen, wir tas­ten, wir strengen uns an, wir sind bereit, es gibt einen Ruck, dann ist der Strunk in der Luft. An den Wurzeln der Stoppeln klebt immer noch Erde. Wenn wir die Stoppeln werfen, rieselt die Erde in unsere Nacken. Wenn wir einen Feind treffen, jubeln wir. Es tut nicht weh. Zu weich die Erde, zu weich das Stroh.

Das Feld schließt die Augen. Es lässt uns gewähren. Es ist im­mer da. Es atmet Luft, die auch wir atmen. Nur für kurze Zeit ist sein Boden hart genug zum Fußballspielen. Wir sind der 1. FC Knickebein. Unser Gegner heißt: Hinter Mailand. Die Saison dauert nicht lange. Nur bis der Bauer die Strünke unter­pflügt, Dünger, Gülle, es scheint, als werde das Feld gefüttert. Die Erde wird weich, durchlässig. Furchen wie Adern durchs schwarze Herz. 

Das Feld schläft langsam ein. Schläft in den Winter. Frost härtet die Erde. Schnee fällt. Eine weiße Decke. Das Feld verschwindet unter dem Schnee. Dem hohen Schnee. Manchmal habe ich den Schnee weggeräumt, damals, einfach, um zu schauen, ob es noch da ist, mein Feld.

Vita

Markus Orths wurde 1969 in Viersen geboren, direkt am beschriebenen Feld, das er von seinem Fenster aus sehen konnte, die ganze Kindheit hindurch. Er studierte Philosophie, Romanistik und Anglistik in Freiburg und lebt als freier Autor in Karlsruhe. Für seine Bücher wurde er mehrfach ausgezeichnet unter anderem mit dem Moerser Literaturpreis und dem Niederrheinischer Literaturpreis der Stadt Krefeld.