Textstellen

Das Café

Thea Mengeler über eine Krefelder Institution.

Es hat keinen Namen oder es hat vielmehr den einzig möglichen: das Café.
Es ist nicht irgendeins, es ist DAS.
„Das Café ist deine Mutter“, sagt man hier.

Bei deiner Mutter steht eine schwarze Büste über der Tür, die melancholisch durch das Oberfenster zur Straße hinausschaut. Schaut, wer vorbeigeht. Schaut, wer hineinkommt.

Hinein geht es durch die doppelte Tür. Glastür in Holztür. Manchmal ist nur die innere geöffnet und man steigt durch die Öffnung im Rahmen. (Man kann sich nur ungelenk dabei vorkommen.)
Bei deiner Mutter hängen ständig andere Bilder an den Wänden, man darf bei ihr seine Kunst ausstellen.
Bei deiner Mutter hängt ein Hirschkopf aus Plüsch über der Tür zu den Toiletten.
Bei deiner Mutter gibt es schwere Tische mit runden Marmorplatten, auf denen je eine Sukkulente steht, Zucker, ein Metallkännchen voll Milch, ein Teelicht im Holzwürfel.
Bei deiner Mutter sind die Kissen auf den alten Holzstühlen rot. Rot ist die Sitzbank. Rot ist der Schirm der alten Lampe, die an Sommerabenden draußen steht. Rot ist die Speisekarte, auf der einige der Stammgäste ihre eigenen Gerichte haben: Dominiks Leckerchen, Barts Gedeck, Brillo Frühstück.
(Du wünschst dir dein eigenes Gericht auf der Karte, aber du kommst nur zum Trinken her. Mittags Milchkaffee, abends Weißweinschorle.)
Grün sind die zwei Sessel mit dem kratzigen Stoff und den hölzernen Armlehnen.
Die Bodenplatten können sich nicht für eine Farbe entscheiden, changieren zwischen Backsteinrot und Blautönen. Du bist nicht sicher, welche Farbe die ursprüngliche war.
Bei deiner Mutter steht ein Feigenbaum vor der Tür, unter dem du im Sommer am liebsten sitzt. Einen Ableger des Baums hast du in deiner Küche großgezogen, bis er zu groß wurde oder die Küche zu klein. Jetzt wächst er bei deinem Bruder im Garten.

Manchmal nervt deine Mutter. Wenn du deine Ruhe willst. Wenn du nicht gekannt werden willst. Dann gehst du nicht hin.

An deinem Geburtstag gehst du zu deiner Mutter am Abend.
Du trinkst allein ein Glas Wein über deinem Notizbuch.
Du trinkst noch ein Glas Wein mit deiner Tischnachbarin.
Du trinkst noch ein Glas Wein mit den Nachbartischen.
Du gehst heim mit einer Rose, die auf deinem Küchentisch steht, bis ihr die Blätter ausfallen.

Deine Mutter lädt dich zu ihrem zweiundvierzigsten Geburtstag auf ein Glas Sekt an der Theke ein.
Deine Mutter stellt dein Buch ins Regal.
Deine Mutter weiß, dass du verreist.
Deine Mutter weiß, dass du umziehst.
Deine Mutter freut sich, wenn du wiederkommst.

Vita

Thea Mengeler, geboren 1988 in Meerbusch und aufgewachsen in Krefeld, studierte Literarisches Schreiben und Kommunikationsdesign in Hildesheim, Kiel und Istanbul. Sie war Finalistin beim 28. open mike sowie Styria Artist in Residence 2022. Ihr Debütroman connect erschien im Frühjahr 2022 beim Leykam Verlag. Aktuell lebt sie als freiberufliche Autorin und Texterin in Hannover.